Auch unbekannte oder noch wenig bekannte, kaum beachtete Obstarten werden in der Lubera Züchtung bearbeitet. Aber warum kümmern wir uns um die obskuren, wenig nachgefragten, häufig nicht direkt essbaren Beeren- und Obstarten, wenn wir doch eventuell noch mehr in die Himbeerzüchtung investieren könnten? In diesem Beitrag zeigt Markus Kobelt die Bedeutung der Wildobstarten in der Lubera-Züchtung auf und beschreibt auch konkret, nach welchen Zielen bei den verschiedenen Wildobstarten geforscht wird.
Der Portefeuille-Ansatz
Die Züchtung bei Lubera folgt einen ausgeprägten Portefeuille-Ansatz. So ähnlich vielleicht, wie man einen stabilen und erfolgversprechenden Aktienkorb zusammenstellen würde, so wählen wir unsere Züchtungsprojekte aus. Denn zu Beginn eines Projekts, das gut und gerne 15 oder 20 Jahre dauern kann, ist ja noch lange nicht sicher und bekannt, wie erfolgreich die Züchtung sein wird, wie schnell wir Fortschritte machen werden und auch konkrete Sorten auf den Markt bringen können. Und so starten und unterhalten wir eine Vielzahl von großen, mittleren und auch sehr kleinen Projekten, um immer genug neue Stories in der Hinterhand zu haben und Rückschläge bei einzelnen Arten und Züchtungsprojekten ausgleichen zu können. Dazu kommt, dass wir uns in die Züchtungsprojekte gerade mit Wildobst vorsichtig hineintasten: Meist steht zu Beginn eine Sortensammlung, dann eine sorgfältige Beurteilung und auch Sichtung der Sorten, und schließlich dann der Entscheid, selber mit Züchten, mit der Aussaat von Samen und/oder mit der gezielten Kreuzungszüchtung zu beginnen. Damit kann auch der Einsatz von Jahr zu Jahr variieren, nicht selten werden auch kleine Projekte wieder ganz verlassen. Auf der anderen Seite können durch dieses Hineintasten auch gute Züchtungsideen entstehen, also Ideen, die züchterisch machbar sind und eventuell die Charakteristika der Obstart für den Gärtner deutlich verändern. Im besten Falle wird aus einem hässlichen Entlein ein wunderschöner weißer Schwan.
Bild: Überblick über die aktuellen Züchtungsprogramme von Lubera®
Was ist Wildobst?
Wenn wir nun von Wildobstzüchtung reden, ist es notwendig, wenigstens ansatzweise den Begriff zu definieren. Gemeint sind damit Obst- und Beerenarten, die nur wenig domestiziert und bisher nicht oder nicht sehr intensiv gezüchtet worden sind. Meist sind sie auf dem Fruchtmarkt, im Garten und auch im Erwerbsanbau nicht besonders wichtig, und sehr häufig gibt es auch gute Gründe dafür: In vielen Fällen sind Wildobstarten nicht direkt essbar, was die Attraktivität für den Markt und für den Gärtner natürlich einschränkt, vielfach haben sie andere negative Eigenschaften, wie Stacheln oder Dornen, bittere Früchte, eine ungenügende Klimaanpassung und so weiter.
Warum Wildobst züchten interessant ist?
Aber warum sollte man sich jetzt züchterisch um solche hässlichen Entlein kümmern, wenn es doch genügend weiße Schwäne gibt, die man noch weißer machen kann? Genau darum: Es ist weder einfach noch sehr zielführend, weiße Schwäne immer noch ein bisschen weißer zu machen. Umgekehrt sind bei vielen Wildobstarten sehr große Fortschritte möglich, und das bei einem relativ kleinen und begrenzten Einsatz - nicht weil wir jetzt besonders clevere Züchter wären (sind wir natürlich auch😉), sondern weil eben an diesen Arten noch nicht sehr viel gezüchtet worden ist. Wildobstzüchtung wäre also innerhalb unserer Portefeuille-Strategie das Wetten auf eine Aktie, die gänzlich unbedeutend ist und fast nichts kostet, aber die irgendeinmal eine extreme Wertsteigerung erleben kann. Noch allgemeiner formuliert: Nur ein ganz kleiner Teil (weniger als 10%) der grundsätzlich essbaren Pflanze ist domestiziert und/oder züchterisch bearbeitet worden. Es ist vernünftig anzunehmen, dass da auch noch viele unentdeckte Schätze liegen, sowohl für den Garten als auch für den Erwerbsanbau.
Ein Beispiel für Wildobstzüchtung: Die Kulturheidelbeere
BIld: Heidelbeere oder besser: Blaubeere am Naturstandort
Das schönste historische Beispiel für erfolgreiche Wildobstzüchtung ist ein Beerenobststar der Gegenwart: die Heidelbeere. Sie ist gerade dabei, die Himbeere /Brombeere als weltweit zweitwichtigste Beerenobstart zu überholen – und sie hat meiner Meinung nach gute Chancen, irgendeinmal auch die Erdbeere als Beerenobstleader abzulösen. Man mag es kaum glauben, aber die Heidelbeere als domestizierte, gezüchtete Kulturheidelbeere ist knapp 120 Jahre alt. Erst zu Beginn des 20. Jahrhunderts begannen Forscher der USDA ganz langsam, zuerst nur mit kleinen Versuchen und mit Wildselektionen mit der Verbesserung der nordamerikanischen Vaccinium-Arten, die vorher in den Oststaaten der USA nur wild in der Natur gesammelt worden waren. Ja, sie haben mich schon richtig verstanden: Wir hoffen natürlich irgendwann bei unseren Wildobstversuchen eine neue Heidelbeere zu finden und damit eine ähnliche Karriere zu starten😉. Immerhin lassen sich am Beispiel der Heidelbeere entscheidende Kriterien für einen zukünftigen Beeren- oder Obststar ablesen: Eine Wildobstart mit einer sehr großen möglichen Zukunft sollte wohl tendenziell die folgenden Eigenschaften haben:
- einfach zu kultivieren (aber das ist eigentlich bei der Heidelbeere schon mal nicht der Fall)
- direkt essbar
- Everybody‘s Darling, also keine ganz speziellen Eigenschaften, keine aggressiv vorziehenden Aromen etc.
- süß (alle oder die meisten Konsumenten sind auf mehr Zucker ausgerichtet)
- ertragreich
- gut Pflückbar
- lagerfähig und möglichst gut transportierbar
- auch auf der südlichen Hemisphäre anzubauen, so dass längerfristig eine ganzjährige Versorgung sichergestellt werden kann
Sie sehen also, das sind ziemlich hochgesteckte Ziele und Sie und wir werden bei jedem Projekt einige Kriterien finden, die unsere neuen Beerenobstarten in der Züchtung nicht erfüllen können. Es macht auch wenig Sinn, immer nur auf diese Kriterien zu schielen bei der Arbeit mit neuen Obstarten - da sich die Erfolgsfaktoren immer wieder individuell zusammenstellen. Eines ist aber sicher: Einige dieser Kriterien müssen für eine erfolgreiche Beerenobstart sicher zutreffen.
Informeller Start und schnelle Fortschritte
Das historische Beispiel der nordamerikanischen Heidelbeerzüchtung zeigt auch nach 120 Jahren einige weiteren und nachahmungswürdigen Muster auf:
Probieren geht über Studieren, (fast) alle Züchtung beginnt als Bastelei: Genau so war es bei der Heidelbeere, Mr. Coville, der als Agronom beim US-Agrarministerium arbeitete, entdeckte rund um sein Ferienhaus in New Jersey die ausgedehnten Heidelbeernaturbestände und begann sich mehr und mehr dafür zu interessieren. Wo wachsen diese Pflanzen, was für einen Boden brauchen sie, wie sind die Befruchtungsverhältnisse, wie können wir in der Natur die Großfrüchtigsten sammeln? Das war zu Beginn keine interdisziplinäre Forschungsgruppe mit Millionenbudget, sondern eine Gruppe von Frauen (Elisabeth White!) und Männern, die sich einfach für Heidelbeeren interessierten. Und mit diesem eher informellen Ansatz gelang es, die Geschichte der Heidelbeeren bis heute zu beeinflussen - viele aktuelle Sorten sind nur 2-4 Generationen von den gesammelten Wildobstselektionen und ersten Sorten entfernt. Und trotz des relativ beschränkten Aufwands waren riesige Fortschritte möglich, bis in die 80er, ja sogar die 90er Jahre des 20. Jahrhunderts dominierten die Sorten der ersten Züchter den Heidelbeermarkt.
Die CI einer neuen Sorte und auch einer neuen Obstart
Dennoch ist es sinnvoll, gleich zu Beginn einige wichtige Kriterien festzulegen: Schon in seinen ersten Artikeln für die Bulletin-Flugschriften der USDA und bei seinen Sammelaufträgen an die lokalen Beerensammler beschreibt Coville die für ihn wichtigsten äußeren Eigenschaften der Heidelbeere:
- möglichst groß, das beeinflusst die Rentabilität von Kleinobst extrem stark
- kein Bluten am Stielansatz, entscheidend für Lagerfähigkeit und Transport
- weiße Bereifung und damit blau-hellblaue Farbe als wichtiges äußeres Unterscheidungsmerkmal einer Heidelbeere. Aufgrund der im Nordosten der USA vorhandenen Genetik wäre ees auch gut möglich gewesen, eine violett-schwarze Farbe als Standard zu wählen. Vernünftige und eindeutige Entscheidungen zur CI, zur ´Corporate Identiti´ einer neuen Obstart fördern ihre spätere Karriere.
Konkrete Wildobstzüchtungsprojekte bei Lubera
Erstbeeren - Lonicera caerulea
Bild: reife Erstbeeren-Früchte - Ist das schon alles, was diese Pflanzenart zu bieten hat?
Erstbeeren oder Maibeeren dümpeln sorten- und auch kulturtechnisch so vor sich hin. Hier versuchen wir herauszufinden, ob in dieser Beerenobstart vielleicht doch ein Potential für deutlich mehr versteckt ist. Können wir Sorten züchten, die Richtung 3-4 g gehen, also mehr Saft, Fruchtfleisch und Esserlebnis bieten? Und gibt es vielleicht selbstfruchtbare Sorten, da bisher ja immer 2 verschiedene Sorten für eine genügende Befruchtung gepflanzt werden müssen. Der Schritt von selbstunfruchtbaren zu selbstfruchtbaren Sorten ist übrigens typisch bei fast allen Domestizierungsprozessen von Pflanzen. Und ja, die letzte Frage: Gibt es einen speziellen „Usecase“ für Erstbeeren, etwas, das sie von allen anderen Obstarten unterscheiden könnte? Für den Garten ist auch die Frage entscheidend, ob es uns gelingt, Honigbeeren zu züchten, die einen Teil ihres auf eine kurze Vegetationsperiode ausgerichteten Wuchscharakters verlieren: Viele vor allem kontinentale osteuropäische Erstbeeren treiben sehr früh, fruchten früh im Mai oder Anfang Juni, und gehen dann im Sommer schon in den Herbst, mit nekrotischen und unschönen Blättern – kein schöner Anblick in einem Garten.
Saskatoonbeere - Amelanchier alnifolia und Hybriden
Bild: Saskatoonbeere zur Blüte; eine Pflanze für das ganze Jahr mit leckeren Früchten im Sommer und einer auffallenden Herbstfärbung
Ein typisches Beispiel eine Obstart, die perfekt Zierwert und Nutzwert vereint. Jetzt geht es darum die Früchte größer und vor allem auch fruchtiger zu machen, mit mehr Zucker und mit mehr Säure. Der etwas gewöhnungsbedürftige, leicht grüne Mandelgeschmack gehört zwar zur Obstart, sollte jedoch dezenter werden. Vor allem ist es wichtig, dass die Früchte gleichmässiger ausreifen. Aktuell sieht es so aus, als ginge es hier vor allem darum, die bestehenden Sorten Schritt um Schritt ein Kleinwenig zu verbessern. Allerdings gibt es auch hier Durchbrüche, ganz neue Züchtungsrichtungen. Wir kennen die Saskatoonbeeren als große Sträucher, menschenhoch und noch höher. Es gibt aber Hybriden, die deutlich kompakter wachsen und im Wuchstyp eher einer Johannisbeere ähnlich sind. Solche Saskatoonbeeren sind vor allem für den Garten interessant.
Holunder - Sambucus nigra & canadensis
Bild: Ist eine solche Blütenpracht auch an den einjährigen Trieben des Holunders möglich?
Wie schöne wäre es, wenn der Holunder am diesjährig wachsenden Holz blühen und reifen würde (und nicht an den letztjährigen Ruten). Damit wäre für den Garten ein ganz neuer Anbau möglich, der eben den Holunder nicht als dominierendes Baumelement oder als Teil einer großen Wildobsthecke sieht, sondern als kleinen Beerenstrauch, bei dem die Verwertung der kontinuierlichen Blüte ebenso wichtig ist wie die Ernte und Verarbeitung der Früchte.
Sanddorn - Hippophae rhamnoides
Bild: Können wir zukünftig die reifen Sanddorn-Früchte direkt vom Strauch genießen, ohne das Gesicht verziehen zu müssen?
Könnte man Sanddorn auch direkt essen, gibt es süße Sorten, die für den Direktverzehr geeignet sind? Und wie könnte man versuchen, die lästigen Dornen aus dem Sanddorn herauszuzüchten? Auch beim Sanddorn wäre es sehr wichtig, mehr selbstfruchtbare Pflanzen zu finden oder eher noch Sorten, die parthenokarp, also ohne Befruchtung Früchte tragen.
Ölweiden - Elaeagnus multiflora & umbellata
Bild: Pointilla® Cheriffic® (Elaeagnus multiflora) hat schon eine gewisse Gruchtgröße. Kann man diese Größe noch steigern?
Bei den Ölweiden ist vor allem auch Elaeagnus multiflora interessant, die selbstfruchtbar ist und schon eine schöne Fruchtgröße mitbringt und mit einem superspannenden Geschmack bei einer überraschenden frühen Reife im Juni brilliert. Ist es hier möglich, bei der Fruchtgrösse und damit beim Verhältnis Stein-Fruchtfleisch weiter zu kommen? Könnte der Stein noch weicher sein, so dass er problemlos mitgegessen werden kann? Oder noch kleiner? Das sind die Fragen, die wir hier bei uns in der Züchtung zu beantworten suchen
Goldjohannisbeeren, Vierbeeren – Ribes aureum & odoratum
Bild: Vierbeere® Orangesse® - Noch sind die farbigen Früchte bei den Vierbeeren nicht so stark vertreten, das wird sich aber ändern.
Hier sehen wir vor allem neue Farben, Rot und Orange in der Züchtungspipeline, die diese kleine Obstart weiter differenzieren. Grundsätzlich haben die Vierbeeren mit ihrem starken Zierwert eine tendenziell bessere Perspektive im Gartenanbau als die Johannisbeeren, allerding muss neben der Fruchtgröße auch noch die Pflanzengesundheit stabilisiert werden. Bei Ribes aureum und odoratum gibt es immer wieder unerklärliche Pflanzentodesfälle, bei einigen Selektionen kommt das aber nie vor, bei anderen häufiger. Viele rote und orange Vierbeeren sind weitgehend selbstfruchtbar, hier testen wir gerade eine Vielzahl von Selektionen auf ihre Selbstfruchtbarkeit und werden hier auch fündig. Weil wir ja auch bei den Fruchtselektion immer tendenziell die fruchtbarsten Genotypen auswählen, werden hier wie auch bei anderen Domestikationsprozessen selbstfruchtbare Sorten sozusagen indirekt bevorzugt. Selbstfruchtbare Sorten sind in der Regel deutlich fruchtbarer als selbstunfruchtbare Sorten, die auf Befruchterinsekten angewiesen sind. Man muss sie dann im Züchtungsmaterial nur noch konkret identifizieren. Grundsätzlich schlägt die Vierbeere vom Geschmackprofil und der farblichen Vielseitigkeit her so mache andere Obstart.
Maulbeere
Bild: reife früchte von Morus alba - lassen Sie sich von der bezeuchnung "alba" nicht täuschen - Morus alba-Sorten können schwarze, rot oder weiße Früchte tragen (und unzälige Schattierungen dazwischen).
Ist die Maulbeere, die schon seit 5000 Jahren angebaut und domestiziert, wird wirklich ein Wildobstkandidat? Was könnte an dieser Pflanze noch nicht genügend entwickelt sein? Hier ist zu beachten, dass sich die Maulbeerkultur nicht etwa alleine und fruchtbezogen entwickelt hat, sondern in Symbiose und Synergie mit den Seidenraupen, deren bevorzugtes Futter sie darstellen. Im Fokus der 5000 Jahre Domestikationsprozesse stand nicht etwa die Frucht, sondern vor allem das Blatt und letztlich der nachwachsende Rohstoff. Hier gibt es also unendliche viele neue Möglichkeiten, eine neue Obstart auch für Mitteleuropa und für den Norden zu entwickeln, wobei sich die Entwicklungskandidaten vor allem auf Morus alba, die botanisch weiße Maulbeere beziehen, die ursprünglich eben nicht wegen der Früchte, sondern eigentlich nur für die Seiden-Kultur entwickelt worden ist. Die ‚Morus alba‘ zeigen auch eine viel größere Diversität als ‚Morus nigra‘.