In Goethes Faust stellt die Figur Margarete, eben Gretchen, der Hauptfigur Faust die berühmte Gretchenfrage: "Nun sag, wie hast du’s mit der Religion? Du bist ein herzlich guter Mann, allein ich glaub, du hältst nicht viel davon." Auf unser Thema abgewandelt hieße die Gretchenfrage: "Nun sag, wie hast du’s mit der Gentechnik? Du bist ein herzensguter Mann, allein ich glaub, du hältst nicht viel davon?"
Gentechnik als Religion
Auf den ersten Blick tönt es etwas eigenartig, wenn wir Religion mit Gentechnik ersetzen. Meist haben die Gegner der Gentechnik einen deutlich missionarischeren Eifer als die Züchtungsprofessoren, die pro Gentech argumentieren. Dennoch ist der Glaube an die Machbarkeit, an die Technisierung und Funktionalisierung der Pflanzenzüchtung auch bei den Befürwortern der Gentechnik so tief verwurzelt, dass man auch hier mit Fug und Recht von einer Religion sprechen kann: Als ich vor zwei Jahren bei einem Gespräch in den Niederlanden im Gewächshaus eines Tomatenzüchters einige Zweifel äußerte, wurde ich vom anwesenden Züchter mit aufgerissenen Augen bestaunt und fast schon durchbohrt – so dass ich mich sehr schnell als das fühlte, was ich in diesem Umfeld war – ein Verräter, ein Häretiker und Ketzer. Es versteht sich aber von selbst, dass die Gegenseite, die fundamentalistische Opposition gegen gentechnische Methoden natürlich auch sektiererische und vor allem auch sehr religiöse Züge trägt; sie hat aber den großen und entscheidenden Vorteil, dass Ihre Meinung bewusst-unbewusst von der überwiegenden Mehrheit der mitteleuropäischen Bevölkerung geteilt wird…
Bild: konventionelle Tomatenzüchtung durch freie rekombination der Gene herbeigeführt durch absichtliche Kreuzung
Genetisch veränderte Pflanzen – eine Geschichte zur Einstimmung
Wie stark das Thema die Menschen in Mitteleuropa bewegt, mag die folgende Geschichte illustrieren. Als ich vor einigen Jahren feststellte, dass der an einem Züchtungsfeld vorbeiführende Spazierweg dazu führte, dass die Apfelbäume am Rand kaum mehr Früchte für uns, für die Züchter trugen (die waren immer längst schon von Passanten geerntet), spannten wir ein gelbes Absperrungsband und schrieben rot auf ein Plakat: Achtung! Genetisch veränderte Pflanzen!
Obwohl dies eine technisch und sprachlich korrekte, sachliche und auch nicht weiter rätselhafte Botschaft war und ist (die Kreuzung zweier Sorten führt über die freie Rekombination der Gene in der Tat zu genetisch veränderten Pflanzen, in der Natur wie auch in der Züchtung), hörte der Diebstahl/Mundraub schlagartig auf. Aber es ging auch nur noch eine Woche, bis ich den Stadtpräsidenten am Telefon hatte, der sich freundlich, aber doch besorgt nach dem ‘wie und warum’ des Schildes erkundigte. (Es ist übrigens unser Glück, dass der Stadtpräsident von Buchs ein Agronom und ehemaliger Vizedirektor einer Forschungsanstalt ist😉).
Bild: Apfelernte in der Züchtungsanlage für den Lubera®-Züchtungssaft
Was die Geschichte aber ganz deutlich zeigt: Der Konsument ist sensibilisiert, er hat Angst, und er möchte keine gentechnisch veränderten Pflanzen – und wie das Beispiel zeigt… vielleicht sogar keine genetisch veränderten Pflanzen… Dies sollte für uns alle ein wichtiger Hinweis darauf sein, dass wir möglichst oft auch über die Züchtungsarbeit berichten sollten, dass wir zeigen, wie sie ganz natürlich vor sich geht und von den Erfolgen und Errungenschaften berichten, die wir damit erzielen. Wir befinden uns in einer Zeit und in einer Gesellschaft, die so verängstigt und konservativ geworden ist, dass sie manchmal dazu tendiert, das Alte stärker zu schätzen als das Neue. Hier kann man z.B. nicht oft genug predigen und demonstrieren, dass alte Sorten in der Regel nicht aus Mode, Dummheit und Vernachlässigung alt und vergessen sind, sondern weil es unterdessen bessere neue Sorten gibt, die in verschiedener Hinsicht (Ertrag, Resistenz, Fruchtqualität, Verwendung) besser in das aktuelle soziokulturelle Umfeld der Pflanze passt: Wie und wo wird sie gepflanzt, wie wird sie im Garten und im professionellen Anbau verwendet, wie werden die Früchte geerntet und verwendet.
Bild: Robustikosen®, eine Lubera®-Neuzüchtung gänzlich ohne Kräuselkrankheit
Keine aktiv gentechnischen Methoden in der Lubera® Züchtung
Aber zurück zur Gretchenfrage: Wie halten wir es bei Lubera mit der Gentechnik? Als Züchter und als Branche müssen wir diese beschriebene Grundskepsis ernst nehmen. Für uns bei Lubera heißt das:
Wir setzen bei der Züchtung neuer Sorten keine gentechnischen Methoden ein, die aktiv in das Genom eingreifen, es verändern, mit fremden Gen-Schnipseln ergänzen. Punkt.
Wir halten den von den Gentechnikern neu aufgemachten Unterschied zwischen Cisgenetik (Gentechnik innerhalb der gleichen Art oder bei verwandten Arten = eher gut) und Transgenetik (künstlicher Genaustausch zwischen total fremden Arten= Fischgene in der Pelargone = eher böse und schlecht) für künstlich und nur schwer kommunizierbar. Auch die Heuchelei der Crispr- Apologeten (bei dieser Technik sieht man am Resultat gar nicht mehr, wie die Sorten hergestellt wurden) können wir bei aktuellem Wissensstand nicht unterstützen. Und eigentlich erübrigt sich bezüglich der geschäftlich-strategischen Entscheidung und aufgrund der Gesetzeslage auch eine Prüfung der Alternativen: Wir leben von unseren Kunden, und wir bei Lubera leben noch viel mehr von den eigenen Kunden, weil wir unsere Sorten zuerst im Direktvertrieb über unsere Webseite Lubera.com verkaufen – und unsere Kunden wollen keine Gentechnik. Es ist für die Diskussion und die Fronten dieser Diskussion bezeichnend, dass die Apologeten der Gentechnik eben nicht von echten Kunden leben, sondern vom Staat (der die entsprechenden Institutionen finanziert).
Bild: Apfelsämlinge im Folientunnel zur Testung auf Schorfresistenz
Passiv-analytische gentechnische Methoden in der Lubera Züchtung
Wir benutzen bei Lubera® aber passive gentechnische Methoden, die die Gene nur analysieren und bei der Selektion helfen. Ganz allgemein wird dieser Anwendungsbereich als Marker-gestützte Züchtung beschrieben. Letztlich geht es hier darum, dass mit analytischen und passiven Methoden die Gene einer Pflanze schon in einem frühen Stadium (als Sämling) ausgelesen und analysiert werden, so dass wir schneller, sicherer und kostengünstiger Genotypen auswählen können, die unserem Züchtungsziel entsprechen. Wir haben in diesem Jahr (2019) solche Methoden zum ersten Mal in der Tomatenzüchtung eingesetzt (Selektion auf Phytophthora-Resistenz) und wir werden analoge Methoden in der Zukunft auch in der Apfelzüchtung und allenfalls in weiteren Bereichen benutzen… Mit all diesen Methoden wird aber nicht aktiv ins Genom eingegriffen, wir versuchen es nur besser zu verstehen. Oder um ein anderes Bild zu bemühen: Wir schreiben keinen neuen Gensatz, sondern lesen nur die bestehenden Gene…
Bild: Tomaten-Züchtungsanlage von Lubera®, Gen-Markertests helfen hier bei der Vorselektion der Sämlinge
Philosophisches – 5 Gedanken zur Gentech-Diskussion
Gentechnik, ihre verschiedenen Unterdisziplinen und Anwendungen sind gesellschaftlich äußerst umstritten. Auf der einen Seite steht fast die ganze vereinigte ‘Scientific community’, die nicht verstehen mag, warum nicht alles, was möglich ist, auch gemacht werden soll. Wenn diese Argumentationsweise in Rückstand gerät, rüstet die Wissenschaft auch gerne moralisch auf und weist auf das objektiv bestehende Problem der Ernährung einer wachsenden und immer städtischeren Weltbevölkerung hin. - Auf der anderen Seite stehen die moralisch-ethisch und vielfach auch grün angehauchten Kritiker (die aber notabene eine klare Mehrheit der mitteleuropäischen Bevölkerung vertreten). Die Kritiker haben aber bisweilen sichtbar Mühe, neben den moralisch-ethischen Beweggründen auch wirklich technische Begründungen für ihre Ablehnung der Gentechnik beizubringen….
Wie schon gesagt, ist unsere Firmenposition und strategische Orientierung klar. Gerne möchte ich aber 5 offene, unabgeschlossene Gedanken zur Diskussion und für das weitere Nachdenken beisteuern:
1. Ich halte die technischen Risiken der Gentechnik und ihrer verschiedenen Ausprägungen für eher gering, aber nicht für vernachlässigbar. Auch hier sollten hoffentlich irgendwann eher pragmatische Denkmuster die Oberhand gewinnen, wo Risiken und Chancen verantwortungsvoll abgewogen werden und wo vernünftig entschieden wird. So weit sind wir allerdings noch nicht.
2. Ich verstehe die moralischen-ethischen Bedenken, kann sie aber in der meist geäußerten quasireligiösen Form nicht teilen. Dies vor allem auch, wenn ich den Blick auf die Natur richte, wo Rekombinationen, Mutationen und sogar Gensprünge nicht nur vorkommen, sondern den Stoff darstellen, aus dem heraus die Evolution funktioniert. Wir haben als Gesellschaft ganz offensichtlich Schwierigkeiten, den Menschen als Akteur der Evolution mitzudenken. Auf eine bestimmte Art bin ich sogar der Überzeugung, dass wir es zulassen müssen, die Evolution menschengemacht zu beschleunigen, weil sich unsere Welt menschengemacht eben auch beschleunigt. Meine ‘ethische’ Grenze ist dann erreicht, wenn Pflanzen (wie jetzt in der Schweiz bei der Diskussion um erfolgreiche Neophyten) verboten werden sollen. Wir sollten nicht verbieten, was uns die Luft zum Atmen gibt.
3. Das beste Argument der Gentechnik-Seite ist wie schon oben erwähnt letztlich die Ernährung einer wachsenden Weltbevölkerung, die zudem immer mehr in Städten wohnt. Ich höre aber gar nichts von dieser Seite, wenn es darum geht, die Pflanze und ihre Freiheiten grundsätzlich zu verteidigen: Pflanzenverbote, unsinnige Pflanzenpässe, Importverbote halten schon heute den Fluss der Gene unnötig auf. Es ist heute fast unmöglich, neue Fruchtpflanzen unter akzeptablen Kosten und in vernünftiger Zeit zum Beispiel in die USA zu bringen. Damit wird die Anpassung der Pflanzen an unsere Lebensgewohnheiten und an neue Umweltbedingungen langfristig mehr aufgehalten als mit dem Verbot des Anbaus und der Vermarktung gentechnisch produzierter neuer Pflanzen.
4. Einen ähnlich strukturierten Vorwurf kann man auch der Gegenseite machen. Die gleichen politischen und gesellschaftlichen Kreise, die strikt gegen die Gentechnik sind, machen mit Recht auch auf die Klimaveränderung aufmerksam und fordern eine Umkehr. Sie verhindern aber mit einer seltsamen Rückwärtsgewandtheit (alte Sorten, nur einheimische Pflanzen, Verbot erfolgreicher Neophyten) systematisch die Anpassung der Pflanzenwelt an neue Gegebenheiten. Kürzlich konnten wir es alle lesen: Unser Klima ist in den letzten 50 Jahren 1,5° C wärmer geworden. Die NZZ fasst die Resultate folgendermaßen zusammen: «Das Klima verändert sich nicht gleichmäßig. Je nach Region hat sich die Erdatmosphäre unterschiedlich stark erwärmt. Das Temperaturmittel der Schweiz zum Beispiel ist um ungefähr 2 Grad Celsius gestiegen, mehr als doppelt so viel wie im globalen Durchschnitt. Im Jahr 2017 war es zuletzt 1,6 Grad wärmer, als es im Mittel 1961 bis 1990 war.»
Es ist unwahrscheinlich, dass das zurückgedreht werden kann. Umso notwendiger ist es, die Pflanzenwelt über Züchtung, aber auch über den Genfluss und die Pflanzenwanderung aktiv anzupassen und sich passiv anpassen zu lassen.
5. Ein letzter Gedanke noch zur Gentechnik: Ich habe den wissenschaftlich-industriellen Komplex in der Agronomie im Verdacht, mit Gentechnik nicht nur selbstlose Ziele (=Welternährung) zu verfolgen – zu gut passen gentechnische Methoden zur Selbsterhaltung und Selbstverstärkung der eigenen Position. Züchtung wird so von einer partiellen Kunst zu einer rein mathematischen Wissenschaft, die Arbeit kann sauber und im weißen Kittel im Labor erledigt werden, alles wird schneller und damit einfacher voraussehbar und finanzierbar. Dabei wird gerne übersehne, dass mit gentechnischen Züchtungsmethoden in der Regel nur Varianten des Gleichen produziert werden (Sorte x mit der Eigenschaft y). Das Würfelspiel der freien Rekombination wird begrenzt, damit wird der produktive Zufall weiter ausgeschaltet und auch die Kreativität des Züchters bleibt in sehr engen Grenzen. Ich habe die begründete Angst, dass mit einer breiteren Zulassung der aktiv ins Genom eingreifenden Gentechnik unsere agronomische und gartenbauliche Pflanzenwelt nicht wirklich reicher, sondern stromlinienförmiger und langweiliger wird.