Häufig werden wir gefragt, woher denn die Zwergwuchseigenschaften bei den Lowberries®, aber auch bei den Maloni® und Pironi®, unseren kompakt buschig wachenden Birnen- und Apfelbäumchen stammen. Wie kommt man als Züchter überhaupt an solche Eigenschaften, wie erkennt und entwickelt man sie?
Züchter ‘Zufall’
Der Züchter ‘Zufall’ spielt und spielte natürlich auch hier eine entscheidende Rolle. In einer unserer ersten Apfelkreuzungen (Resi x Delbard Jubilé), stellte ich schon im Sämlingsstadium fest, dass es eine außergewöhnlich hohe Anzahl von „Genetic Dwarfs“ gab, nur sehr langsam wachsende Sämlinge, teilweise mit letalen Eigenschaften, teilweise aber auch vital mit nur sehr kurzen Internodien. Die Nachfrage bei anderen Züchtern ergab vor 25 Jahren folgendes Feedback: Einfach entfernen, diese Pflanzen können wir in unserer Züchtung nicht gebrauchen, die meisten sind auch nicht lebensfähig… Aus Unwissen und Neugierde behielt ich gut 50 „Genetic Dwarfs“, zog sie an und pflanzte sie nachher auf eigener Wurzel aus. Nach ca. 10 Jahren selektionierten wir aus dieser Population unsere ersten zwei Maloni®-Sorten Sally® und Lilly®. Spätere Nachforschungen und Analysen ergaben, dass ganz offensichtlich bei diesen „Genetic Dwarfs“ die Kreuzung (Resi x Delbard Jubilé) gar nicht funktioniert hatte, sondern dass es sich bei den superkompakten Pflanzen um geselbstete ‚Resi‘ (Resi x Resi) handeln musste…
Bild: Zwerg-Apfelbaum Maloni® Sally® in der Sortensichtung
Zwerggene aus den Tiefen der Evolution
Wie wir darauf kamen? Zunächst zeigen beide Tochtersorten auf die Mutter, tragen keine auffälligen Eigenschaften von Delbard Jubilé. Aber vor allem zeigten die nachfolgenden Kreuzungen mit Sally® und Lilly® (Sally x normal wachsende Sorte), dass das Kompakt-Gen in diesen Sorten rezessiv ist. Kreuzt man Sally® oder auch Lilly® mit einer normalwachsenden Sorte, resultieren gar keine kompaktwachsenden Sämlinge. Nur bei der Geschwisterkreuzung Sally x Lilly (oder auch bei einer Rückkreuzung mit der Muttersorte ‚Resi‘) entstehen wieder kompakte Bäume…
Bild: Früchte der Zwerg-Apfelbaumsorte Maloni® Lilly®
Die genetische Erklärung für das Phänomen: Ganz offensichtlich war ‚Resi‘ bei der Kreuzung mit ‚Delbard Jubilé‘ teilweise geselbstet worden, das heißt in einigen Fällen gelang es dem eigenen Pollen von ‚Resi‘, Resi-Blüten zu befruchten (das gibt es auch beim Apfel, aber nur in einer kleinen einstelligen kleinen Prozentzahl), durch diese Selbstung war das unsichtbar in Resi schlummernde rezessive Kompaktgen an die Oberfläche getreten und sichtbar geworden.
Wie aber konnten diese Gene in der Natur überleben, warum sind sie immer noch da? Um diese Frage zu beantworten, müssen wir ein kurzes Gedankenexperiment unternehmen: Was passiert mit superkompakt wachsenden Apfelbäumen in der Natur, im Prozess der Evolution? Nun, sie werden in der Regel nicht überleben. Zu kleine Pflanzen werden überwachsen, erhalten zu wenig Licht, gehen im Konkurrenzkampf um Nährstoffe und andere Ressourcen untern, werden niedergetrampelt, gefressen, zerstört. Das bedeutet aber auch, das in der Evolution dominante Kompaktgene, also solche, die sich immer zeigen und die sich von Genration zu Generation sichtbar fortpflanzen und ausprägen, aussterben. Sie haben schlichtweg keine Chance zu überleben. Fürs Überleben potentiell negative Gene oder Mutationen (neben dem Zwergwuchs kann dies auch eine verminderte Fruchtbarkeit sein, eine gefüllte Blüte, etc.) können nur überleben, wenn sie rezessiv sind. Man kann sich das folgendermaßen vorstellen: Irgendwann findet eine (immer ungerichtete, zufällige) spontane potentiell letale Mutation statt (die zum Beispiel zu diesem Zwergwuchs führt); wenn sie dominant ist, wird sie bald wieder aussterben; wenn sie rezessiv ist, hat sie eine gute Chance zu überleben, wenn auch nur versteckt und definitionsgemäß meist unsichtbar und unwirksam.
Rezessive Kompaktgene in der Lubera-Züchtung
Bild: kompaktwachsende Lowberry® Himbeere und Brombeere im Topf auf der Terrasse
In der Lubera® Züchtung haben wir solche rezessiven Kompaktgene bei schwarzen Johannisbeeren (Lowberry® Little Black Sugar®, diverse Versuchsnummern), bei der Himbeere (Lowberry® Little Sweet Sister®), beim Apfel (Maloni®-Sortengruppe) und bei der Brombeere (Lowberry® Little Black Prince®) und vermutlich auch bei den Stachelbeeren (diverse Züchtungsnummern) entdeckt. Durch sorgfältige Kreuzungsprogramme, durch Geschwisterkreuzungen und Rückkreuzungen ist es uns dann gelungen, diese ‘zufällig’ gefundene Wuchseigenschaft kontinuierlich züchterisch auszubauen und fruchtbar zu machen. Das entsprechende Zuchtprogramm bei den Äpfeln dauert nun schon 25 Jahre – mit einem Output von 4 kompakt bis superkompakt wachsenden Sorten (20-50% im Vergleich zu normalwachsenden Sorten).
Bild: Himbeere Lowberry® Little Sweet Sister® im Kübel auf der Hampton Court Flower Show
Spontan auftretende Zwerggene
Ganz offensichtlich gibt es aber auch andere Kompaktgene, die dominant sind, die sich also bei einer Kreuzung kompakt x normalwachsend mit einer ungefähren Portion von 50% zeigen. Beispiele dafür sind die Säulenäpfel, die den Säulenwuchs dominant vererben; auch das Kompaktgen für die Pironi® und Pirini® (Minibirnen und Säulen) ist dominant und geht auf eine im 19. Jahrhundert entdeckte Knospenmutation und Sorte namens ‘Nain vert’ zurück (siehe Artikel im Gartenbuch von Lubera.com: Die Geschichte der Pironi® und Pirini®) und die zwergwüchsige Mini-Sommerhimbeere Ruby Beauty(S) verfügt auch über ein Kompaktgen, das ganz offensichtlich dominant ist (sich also in jeder Kreuzung kompakt x normal) zeigt.
Bild: kompaktwachsender Birnenbaum Pironi® Joy of Kent®
Wie kann das sein? Wiederspricht das nicht unserer obigen These, dass negative, potentiell letale Pflanzeneigenschaften nur rezessiv überleben können? Die Antwort auf diese Frage ist der ‘Gärtner’. Wie schon erwähnt sind Mutationen immer ungerichtet und auch ganzheitlich divers: Sie können zu positiven oder auch zu negativen oder auch zu ganz unverständlichen Eigenschaften (immer aus der Sicht des Menschen und Gärtners) führen, die Eigenschaften können rezessiv oder dominant sein, quantitativ oder qualitativ, auch genetisch viel komplexer auf mehreren Genen oder Gengruppen beruhend. Wenn nur eine ‘Kompakt-Mutation’ in der Natur erfolgt und unbeobachtet bleibt, überlebt sie nur rezessiv. Wenn sie aber in der Kultur geschieht, vom Menschen beobachtet und vermehrt, allenfalls züchterisch benutzt wird, dann kann sie selbstverständlich auch dominant sein. Der Gärtner verhilft ihr zum Überleben. Die Chance, dass eine Kompaktmutation in der Kultur überlebt, ist bei einer dominanten genetischen Eigenschaft sogar viel grösser als bei einer rezessiven, da sie bewusst oder unbewusst züchterisch und agronomisch viel leichter zu benutzen und produktiv zu machen ist.
Zwerg-Sorten bei Lubera
Bild: im Hausgarten etablierter Zwerg-Pfirsich in voller Blüte
Kompaktzüchtung gehört für mich zu den spannendsten Unterdisziplinen der Obst- und Beeren Züchtung für den Hausgarten. Man profitiert ganz explizit vom allgegenwärtigen Züchter ‘Zufall’, man muss sein Werk nur sehen…, und kann es dann systematisch reproduzieren, ausbauen und fruchtbar machen. Es ist unser Ziel, bei immer mehr Obstarten solche Kompaktgene zu entdecken und dann züchterisch zu nutzen. Wie schon erwähnt verfügen wir aktuell bei Apfel (rezessiv und dominant), Birne (dominant), Pfirsich (dominant), Himbeere (dominant und rezessiv), Brombeere (rezessiv), Stachelbeere (eher rezessiv), schwarzer Johannisbeere (rezessiv) über solche Gene. Bei der Heidelbeere bin ich noch etwas unsicher: Der kompakte Wuchs stammt von Vaccinium angustifolium, er scheint sich aber im Gegensatz zu anderen Obstarten viel kontinuierlicher auszuprägen (alle Wuchstypen möglich von superkompakt bis halbnormale…). Die Eigenschaft ‘kompakt’ scheint auf mehreren Genen zu beruhen und wirkt sich weitgehend dominant aus.
Bild: Heidelbeere Lowberry® Little Blue Wonder® als Kübelpflanze auf der Terrasse
Die Grenzen der Zwergzüchtung oder: Wie viele Zwergsorten braucht die Welt?
Bei aller Spielfreude des Züchters und bei allem Hype über ‘urban gardening’ und Container-Anbau auf Terrasse und Balkon sollte man aber die Nachfrage und den Marktanteil von kompakten Obst- und Beerensorten nicht überschätzen. Die Verkaufszahlen bei Lubera.com zeigen, dass dieser Marktanteil bei Himbeeren aktuell bei ca. 10- 20% liegt. Der Grund: Auch wenn es in fast allen Fällen gelungen ist, die Obst- und Beerenzwerge mit einer guten Fruchtbarkeit und Fruchtqualität auszustatten, produzieren sie natürlich weniger Pflanzenvolumen, weniger Trieblänge und auch Assimilationsfläche. Dies kann durch die kürzere Internodienlänge nicht vollständig kompensiert werden und so geben natürlich kompakte Zwergsorten systematisch auch weniger Ertrag. Es ist eines der Hauptziele der Kompaktzüchtung, diesen Effekt möglichst auszugleichen, aber ganz wird dies nie gelingen. Es existieren natürliche Grenzen oder sogar Gegentendenzen, die dem entgegenstehen: Wenn die Internodien kürzer und fast alle Knospen fruchtbar werden, führt dies zu einem Anstieg der Alternanz (Zwischenjahre mit weniger Ertrag, vor allem beim Baumobst). Züchterisch ist es uns etwa mit der Säulenapfelsorte Malini® Subito® gelungen, diesen Effekt weitgehend zu überspielen. Ganz allgemein kommt aber eine immer kompaktere und immer fruchtbarere und allenfalls noch im gleichen Jahr wachsenden, blühende und fruchtende Pflanze (Beispiel Zwerg-Herbsthimbeeren) irgendwann physiologisch an ihre Grenzen, die züchterisch nur sehr langsam auszuweiten sind…
Bild: Säulenapfel Malini® Subito® zur Reifezeit in der Sortensichtung
Langer Rede kurzer Sinn: Wer als Hobbygärtner vor allem kg und seine Kühltruhe füllen will, der wird weiterhin mit Vorteil normalwachsende Sorten pflanzen😉. Und entsprechend werden wir bei aller Freude an der Kompaktzüchtung auch weiterhin einen Großteil unserer züchterischen Arbeit auf normalwachsende oder moderat kompakte Wuchstypen konzentrieren.