
Lubera züchtet Äpfel, Himbeeren und jetzt auch Kartoffeln, kommt da nicht fast sprichwörtlich zusammen, was nicht zusammenpasst (Äpfel und Erdäpfel) und eigentlich nichts miteinander zu tun hat?
Naja, der Sprachgebrauch meint ja trotzdem, dass die beiden etwas miteinander zu tun haben😉Im Ernst: Äpfel und Kartoffeln sind beides essbare Pflanzen oder Pflanzen mit essbaren Organen. Und beide Pflanzenarten sind ihrer Klasse so etwas wie Klassenbeste: Denkst du an Früchte, so bist du sehr schnell bei den Äpfeln. Und unter den Gemüsearten ist die Kartoffel eine der wichtigsten Pflanzen in diesem Bereich, eine der wichtigsten Nahrungspflanzen überhaupt. Und gerade wegen ihrer Bedeutung für die menschliche Ernährung sind beide Kulturpflanzen stark von der Industrie beeinflusst, die sie anbaut, transportiert, lagert, verarbeitet und verkauft. Dabei sind solche bedeutenden Kulturpflanzen weniger das Resultat der Bedürfnisse des Anbaus, sondern eher das Resultat der Anforderungen der Industrie… Den Konsumenten oder gar den Hobbygärtner fragt niemand.
Kurz: Beide, Äpfel und Kartoffeln sind Standards, sind mit die wichtigsten Pflanzen unter ihresgleichen, und werden neben dem Erwerbsanbau seit jeher auch im Garten zur Selbstversorgung (zur eigenen Freude und für den Genuss) angebaut.
Macht also die Lubera Züchtung bei der Kartoffel dasselbe wie beim Apfel?
Ja genau, darauf wollte ich hinaus: Wir züchten Kultur-, Genuss- und Nahrungspflanzen, indem wir sie aus dem Blickwinkel des Gartens und des Gärtners betrachten, und nicht aus dem Blickwinkel der Landwirtschaft oder gar der verarbeitenden Industrie. Das gilt für den Apfel – und auch für die Kartoffel.
Was sind genau die Züchtungsziele von Lubera bei den Kartoffeln?
Wir möchten Hausgartensorten züchten, die resistent sind gegen Phytophthora infestans und Alternaria, die zusätzlich äußerst divers und unterschiedlich sind und gut schmecken. Auf eine Formel gebracht, folgt unser Züchtungsprogramm folgender Leitlinie: (Resistenz x Diversität) x Qualität.
Bilder: unterschiedliche Populationen von Kartoffelsämlinge; zu erkennen sind die deutlichen Unterschiede in der Resistenz (Aufnahmedatum: Ende Oktober)
Wie will jetzt Lubera in der Kartoffelzüchtung etwas erreichen, was selbst milliardenschwere Züchtungskonzerne nicht schaffen?
Ja, da staune ich auch ein bisschen, warum weit über 150 Jahre nach der irischen und europäischen Famine, der Hungersnot aufgrund der Kartoffelphytophthora, immer noch kaum zuverlässig resistente Sorten auf breiter Front vorhanden sind. Die Gründe dafür sind vielfältig: Natürlich sind Resistenzen auch immer wieder durchbrochen worden. Aber viel wichtiger und für das etwas armselige Resistenzzüchtungsresultat entscheidender war das Vorhandensein von effizienten und relativ billigen chemischen Bekämpfungsmitteln gegen Late Blight, die Phytophthora. Und schließlich und endlich der wichtigste Grund: Die Kartoffelzüchtungskonzerne züchten nicht für Gärtner, auch nicht für Konsumenten, sondern für die Ansprüche der Verarbeitungsindustrie. Und da hatte und hat Resistenz keine Priorität. Ein Letztes noch: Auch das, was die Verarbeitungsindustrie unter Qualität versteht, hat nur sehr bedingt mit der Qualität für den Konsumenten und für den Gärtner zu tun…
Und wie wollen wir die Ziele erreichen? Indem wir sie klar priorisieren: Erstens Resistenz - zweitens Diversität, möglichst unterschiedliche Sorten in Aussehen, Geschmack und Farbe - und drittens degustative Qualität. Alle unsere zukünftigen Sorten müssen resistent gegen Phytophthora sein, dazu mindestens entweder speziell gut und anderes im Geschmack, oder aber speziell im Aussehen. Idealerweise unterscheiden sie sich in allen drei Kriterien positiv vom bekannten Kartoffelsortiment. Andere rein quantitative Qualitätsvorgaben wie Ertrag oder Einheitlichkeit der Kartoffeln, Augentiefe und (in Grenzen) Stärkegehalt sind für uns sekundär. Indem wir die Erfordernisse der Industrie in unseren Zielhorizont ausschalten und nur auf den Hobbygärtner schauen, machen wir unsere Züchtung viel produktiver und die vorher unerreichbaren Ziele werden auch plötzlich erreichbar, wenn wir die Methoden anwenden, die wir in anderen Züchtungsprogrammen gelernt haben. Hier profitiert das Kartoffelzüchtungsprogramm natürlich nicht nur von der Apfelzüchtung, sondern vor allem auch von der Freilandtomatenzüchtung, die ja mit den gleichen natürlichen Feinden, mit Phytophthora und Alternaria zu kämpfen hat.
Bild: Selektionsfeld der 2. Selektionsstufe am der landwirtschaftlichen Schule Rheinhof (Salez), aufgenommen im Oktober; auch hier sind die resistenten Selektion gut zu erkennen
Bilder: Nahaufnahmen der gesündesten Selektionen Mitte Oktober
Geht die Resistenzzüchtung bei den Kartoffeln auf Kosten des Geschmacks?
Nein, das geht sie nicht. Im Gegenteil können wir ganz gezielt auch Kreuzungen machen Resistenz x Geschmack und uns auf dieses Doppelziel auch konzentrieren, weil wir die Tonnenmentalität und die Verarbeitungsqualität mal beiseite lassen können. Es ist der gleiche Züchtungsansatz, den wir bei all unseren anderen Züchtungsprojekten angewendet haben: Wir konzentrieren uns auf die wichtigsten Erfordernisse der Gartenverwendung einer Pflanze, wir priorisieren die 2-3 wichtigsten Ziele und wir vergessen für den Moment alles andere, was für die kommerzielle und moderne Landwirtschaft wichtig scheint. Und siehe da: Über diesen Umweg züchten wir bei vielen Arten Sorten, die auch für landwirtschaftliche Nischen wieder interessant werden können.
Wie züchtet Lubera Kartoffeln, werden da auch Kartoffel-F1-Hybriden gezüchtet?
Die Hybridzüchtung bei Kartoffeln ist aktuell ‚in‘, es gibt diverse große Firmen und auch großzügig finanzierte Startups, die das versuchen. Das Ziel besteht darin, Kartoffelsorten als F1-Hybriden zu züchten, die dann über Saatgut vermehrt werden können und nicht über Knollen. Das würde die Kosten der Vermehrung stark verringern und auch den Anbau in südlichen Gebieten erleichtern (die Produktion und Lagerung von Kartoffel-Saatknollen ist sehr aufwändig). F1 Hybridzüchtung heißt aber immer auch, dass Diversität schnell und unserer Meinung nach zu schnell verloren geht: Inzuchtlinien bedeuten ja nichts anderes als der kontinuierliche Ausschluss von Diversität! Der ganze Züchtungsprozess in der Hybridzüchtung ist auch sehr schwerfällig und teuer, was selber wieder gegen die Diversität wirkt – es kann nur eine beschränkte Anzahl von Inzuchtlinien entwickelt werden. Wir haben uns also ganz bewusst gegen die Hybridzüchtung entschieden, weil Diversität, eine möglichst große Breite der Formen, Farben, Herkünfte und Geschmackstypen eines unserer drei Hauptziele ist.
Woher kommen die Gene für mehr Resistenz und auch mehr Diversität bei den Kartoffeln?
Wie verfolgen eigentlich vor allen zwei Wege, die wir dann schlussendlich in einigen Jahren auch zusammenführen wollen: Einerseits züchten wir mit den 5 in den Sarpo-Sorten vorhandenen Resistenzgenen (vor allem in Sarpo Mira) und versuchen diese Resistenzen in andere, tendenziell kultursortennahe Sorten und Züchtungslinien einzubauen. Andererseits testen wir jedes Jahr einige tausend Sämlinge von diversen diploiden und auch tetraploiden Solanum-Arten auf interessante Knolleneigenschaften und auch neue Resistenzen, die mehr Diversität (und auch andere, noch unbekannte Resistenzquellen) in die Züchtung einbringen.
Bild: Feld mit Sämlingspopulationen von verschiedenen Solanum-Arten
Wie weit ist das Lubera Kartoffelzüchtungsprogramm bereits?
Das Züchtungsprogramm für kultursortennahe Resistenzsorten ist schon recht weit, wir hatten dieses Jahr ca. 300 Sorten im Stufe-2 Test und ca. 30 Klone zeigten sich bis Mitte Oktober absolut resistent gegen Alternaria und Phytophthora. Zur Resistenzselektion und vor allem auch zur genauen Eruierung der verschiedenen Arten der Resistenz setzen wir übrigens auch Marker ein. Auf der anderen Seite, bei der Selektion von neuem Diversitätsmaterial sind wir gerade in diesem Jahr auch gut vorwärtsgekommen: Wir haben Züchtungsklone und Eltern aus vier Solanumarten gewonnen und in verschiedenen Populationen, vor allem auch bei diploiden Kartoffeln neue Resistenzquellen ausgemacht.
Wie lange wird es gehen, bis es Lubera-Kartoffeln gibt?
Im besten Falle werden wir in 3 Jahren erste Kartoffelsorten aus der eigenen Züchtung anbieten können; voraussichtlich werden dies eher konventionelle, den jetzigen Kultursorten ähnliche Sorten sein, aber mit einer absoluten Resistenz gegen Alternaria und Phytophthora. Aber wie immer in der Züchtung rechnen und planen wir mit längeren Zeiträumen: Bis in 10 Jahren sollte es aber möglich sein, ein spezielles und sehr spezifisches Hausgartensortiment mit Kartoffeln zusammenstellen, das mehr Farbe, unterschiedliche Formen, teilweise sogar Zierwert und neue Geschmacksrichtungen in den Kartoffelanbau im Garten bringt.
Bild: Formen- und Farbenvielfalt der 2. Selektionsstufe
Bild: Vielfalt der aktuellen Kartoffelzüchtung
Wie sollen diese Hausgartenkartoffeln verkauft werden?
Auch hier denken wir an neue Wege: Wir planen, unsere eigenen Kartoffelsorten als in vitro vermehrte kleine Jungpflanzen anzubieten. Der Konsument soll schließlich und endlich nicht irgendwann fast noch im Winter eine halb verfaulte und mit Chemikalien behandelte Saatkartoffel kaufen, sondern eine vegetativ vermehrte Jungpflanze aus Gewebekultur, die er direkt in sein Kartoffelbeet oder in den Kübel pflanzt.
Die Vorteile von Kartoffeljungpflanzen gegenüber Saatkartoffeln
Die Vorteile des vegetativ über Stecklinge oder Gewebekultur vermehrten Kartoffelpflanzguts sind vielfältig:
- Extrem hoher Gesundheitsstatus, ca.4-5 Stufen über konventionellen Saatkartoffeln. Damit gibt es auch viel weniger Durchseuchung mit Viren und anderen Krankheitskeimen.
- Die Kartoffel wird dann gepflanzt, wenn der Frühling losgeht, nicht früher.
- Eine bessere Terminierung der Kartoffelkultur wird möglich. Vor allem werden auch späte Sätze von Kartoffeln im Hausgarten interessant, die mit konventionellen Sorten und Saatgut fast unmöglich waren: Resistente Jungpflanzen können auch im Juli gepflanzt und vor Weihnachten geerntet werden
- Es wird möglich, im kleinen Garten sehr viel mehr Sorten auf kleinstem Raum zu pflanzen: Es müssen nicht 10, 20 30 Saatkartoffeln pro Sorte gekauft werden.
- Die Vermehrung über Stecklinge und Gewebekultur macht erst die Entwicklung von neuen Hausgarten- und Nischensorten möglich, weil für Nischensorten die Aufrechterhaltung des notwendigen Gesundheitsstatus‘ für die konventionelle Saatkartoffelproduktion viel zu kompliziert und aufwändig ist.