Wenn man reist, fällt oft vor allem auf, was anders ist. Der Blick des Reisenden ist ja – sozusagen umgekehrt - geprägt von dem, was er längst schon kennt. Er sieht die Differenz und lernt daraus. Insofern bildet Reisen wirklich😉. In diesem kurzen Reisebericht versuche ich einige Eindrücke in Bezug auf Pflanzen und den Pflanzenmarkt festzuhalten, die mir während einer zweiwöchigen USA Reise im Juli aufgefallen sind. Einen Anspruch auf Objektivität habe ich nicht, dazu waren auch meine Recherchen zu oberflächlich. Aber vielleicht sieht ja der schnelle Blick einiges, was der tieferen Einsicht gar nicht mehr auffällt…
Cultivate 2019 im Columbus, Ohio
Die große Pflanzenshow im Juli im Mittleren Westen steht lange schon auf meiner Wunschliste – aber hat bis zu diesem Jahr nie in die Reisepläne und Reisezeiten gepasst. Dieses Jahr klappt es endlich, und ich kann sagen, dass es die beste Pflanzen- und Gartenshow B2B ist, die ich bis jetzt in den USA gesehen habe. Zwar ist die Cultivate von der Dimension her weit von der IPM entfernt, aber man kann sich an der Ausstellung einen ganz guten Überblick über die Amerikanische Pflanzenmarkt-Landschaft schaffen.
Bild: Ausstellungshalle der Cultivate 2019; Amish People sind vor allem am Montag in großer Zahl zu sehen
Bild: Columbus selber ist für eine 700 000 Seelenstadt doch nicht sehr attraktiv; speziell ist das Deutsche Quartier, hier auch der grösste Buchladen der Stadt, das Book Loft; Bepflanzung vor dem Gebäude
Bild: Bepflanzung im Deutschen Quartier in Columbus, Ohio (USA)
Bild: Kirche im Deutschen Quartier in Columbus, Ohio (USA)
Ganz praktisch ist übrigens auch die einfache Struktur der riesigen Messehalle, deren Gassen alle groß und übersichtlich nummeriert sind, so dass man nie den Überblick verliert. Auch das gezielte Suchen von Ständen für einen Termin oder ein Nachfassen ist so sehr einfach und schnell möglich…
Top Vortragstagung parallel zu Cultivate Show
Was mir vor dem Besuch nicht bewusst gewesen ist und was ich erst vor Ort entdecke: Parallel zur Ausstellung findet ein großer Kongress statt, so dass an 4 Tagen (Samstag bis Dienstag!) parallel zur Ausstellung jederzeit mehrere Vortragstracks angeboten werden. Und um Missverständnissen vorzubeugen: Die Vorträge werden nicht jeden Tag wiederholt, sondern jeder Tag hat ein eigenes und unterschiedliches Programm – einfach gigantisch. Die Vortragstagung ist auch separat zu zahlen – hier empfiehlt sich eine frühzeitige Buchung, vor Ort wird es dann ziemlich teuer.
Wenn man bezüglich der Ausstellung – von der IPM verwöhnt – vielleicht sagen würde, dass man sie nach einem Tag doch leicht gesehen hätte, so ist nach meiner Erfahrung nicht die Ausstellung das Kernstück der Gesamtveranstaltung, sondern der Kongress. Und davon bin ich hellauf begeistert: Die Themenvielfalt ist riesig und wirklich umfassend, von Züchtung, neuen Sorten, Bewässerung und Kultur über Marketing bis zu Mitarbeiterthemen; und die Qualität der Vorträge ist exzellent. Natürlich gibt es in unserer kleinen Branche auch mal Vortragende, bei denen leicht zu merken ist, dass sie auch Marketing betreiben (für ihr Produkt, für Ihre Dienstleistung), aber das ist dann so offensichtlich und auch im Vorfeld schon so klar gemacht, dass es auch nicht stört; man weiß ja einzuordnen, was man hört. Eine letzte Beobachtung dazu: Ich habe den Vortrag des Marketingchefs eines Online Pflanzenverkäufers gehört (Nature Hills) und ich war erstaunt und positiv überrascht, wie viele Insights da offengelegt wurden. Es gehört irgendwie auch zur amerikanischen Businesskultur, relativ offen zu teilen, was man weiß. Wenn das (fast) alle am Markt so halten, können ja alle und das Ganze nur profitieren….. Bei uns ist das eher weniger vorstellbar.
Lohnt sich also die Cultivate für einen Besucher aus Europa: Als Pflanzenausstellung nur bedingt, wenn man aber 2-4 Tage Zeit mitbringt und zwischen den Standbesuchen 3-6 Vorträge pro Tag hören kann, ist der Besuch unbedingt zu empfehlen!
Volle Gartencenter im Juli
Natürlich ist man nach einer solchen Reise voll von Eindrücken, weiß sich eigentlich fast nicht zu helfen, hat auch Mühe, diese Vielfalt einzuordnen. So ist mir z.B. – vielleicht sollte ich das hier nicht erzählen… - aufgefallen, dass fruchttragende Pflanzen eher weniger sichtbar waren als noch vor 3 oder 4 Jahren. Das könnte aber auch damit zusammenhängen, dass damals das Brazelberry-Programm in gigantischer Dimension überdistribuiert war, an viel zu vielen Verkaufsstellen mit viel zu vielen Pflanzen zu sehen war. Das hat sich jetzt wieder ‚normalisiert‘ und ganz offensichtlich fehlt bei den großen national aktiven Baumschulen doch weitgehend die ‚essbare Kompetenz‘. Weder Monrovia noch Bailey können da wirklich punkten – präsent sind nur die zum Ball-Konzern gehörenden Star Roses mit dem neugetauften und sozusagen neu gestarteten Brazelberries® Programm, das nun Bushel and Berry® heißt… Und noch ein Nebeneindruck: Auffällig vor allem in Nordwesten der USA ist, dass bei den Edibles jetzt im Juli zwar häufig unsere Sortimentsstützen wie Himbeeren oder Brombeeren und auch Erdbeeren fehlen, Heidelbeeren dagegen gibt es immer (aber meist nicht als Markenpflanzen, sondern von lokalen Lieferanten), dagegen sind (in unserem Sinn) Exoten vor allem in den unabhängigen und guten Gartencentern stark übervertreten: Hopfen in bis zu 30 Sorten (in Portland ein ‚Muss‘), Kaki in allen Schattierungen, Feijoa, Maulbeeren, und sogar Oliven in Sorten… Dennoch bewegt sich weiterhin etwas bei den Edibles: So startet jetzt auch das Proven Winners Programm mit essbaren Pflanzen, die unter den Banner ‚Proven Harvest‘ angeboten werden.
Bild: Proven Harvest-Serie von Proven Winners
Bild: Fruchttragende Pflanzen der Proven Harvest-Serie bei Proven Winners
Aber die eigentliche Erkenntnis bei den ca. 12 Gartencenterbesuchen, die wir machten, ist eine andere: Alle Gartencenter stehen proppenvoll, die Pflanzen wurden größtenteils kürzlich eingekauft und stehen in einer außergewöhnlich guten Qualität, die man so und in dieser Dichte und zu dieser Jahreszeit kaum je im heimischen Pflanzenhandel sieht.
Bild: Volle Gartencenter, mit grossen, frisch eingekauften Pflanzen
Bild: Rosen in gigantischen Töpfen, ca. 15 - 20l
Bild: Sommerflor und Hanging Baskets werden jetzt zwar reduziert verkauft, aber sie wurden kürzlich neu eingekauft und sind perfekt gepfegt. Und das überraschende: Man findet sie im Juli in jedem zweiten Einkaufswagen
Bild: unvermeidlich: jetzt Hydr. paniculata, perfekte Qualität, wie immer auch hier große Töpfe
Das ist zwar bei den Big Boxes, bei den Großbaumärkten (Home Depot, Lowe‘s) nicht ganz so offensichtlich - da kann man nicht selten die gleichen Standschäden, Pflegefehler und Vernachlässigungen wahrnehmen, die im Sommer bei uns doch relativ häufig anzutreffen sind – dennoch ist auch hier die Qualität in der Regel besser als bei vergleichbaren Anbietern in Europa (im Juli).
Bild: Pflanzenvorräte in einer Home Depot-Filiale
Bild: Pflanzbeispiel eines kleinen Gemüsegartens bei Home Depot
Sowohl bei den Ketten als auch bei den unabhängigen Gartencentern gibt es sicher einen Faktor, der die Qualität der Pflanzen im Store verbessert: Große Töpfe. Die Topfgrößen im Amerikanischen Gartencenter sind sicher um 2-3 Größen voluminöser als in Europa (15 statt 5l).
Bild: Überall sehr große Töpfe (für unsere Verhältnisse) - auch bei Home Depot, wie hier gezeigt
Es wäre sicher bei Gelegenheit interessant, mal die Transportkosten in Europa und in den USA zu untersuchen und zu vergleichen. Große Baumschulen verfügen zwar meist über verschiedene, über das ganze Land (Ostküste, Südosten, Nordwesten, Kalifornien, Mittlerer Westen) verteilte und dann lokal zuständige Produktionszentren, dennoch müssen auch diese Pflanzen mit Europa vergleichbare Strecken hinter sich bringen.
Biophilie in den Städten
In amerikanischen Trendberichten und auch in stylischen Magazinen liest man häufig von einem neuen Trend: Biophilia, Biophilie. Das ist nichts anderes als die Liebe zum Leben. Diese kann am unmittelbarsten in der Beziehung zwischen Mensch und Pflanze zum Ausdruck kommen. Nach Erich Fromm (der den Begriff prägte) wird Biophilie sinngemäß folgendermaßen definiert:
„Die Biophilie ist die leidenschaftliche Liebe zum Leben und allem Lebendigen; sie ist der Wunsch, das Wachstum zu fördern, ob es sich nun um einen Menschen, eine Pflanze, eine Idee oder eine soziale Gruppe handelt.“
Jedenfalls sind sowohl online-Magazine, aber auch immer mehr die bekannten Printmagazine voll von Stories zu Zimmerpflanzen, und irgendwie – so war zumindest mein Eindruck – erobern die Pflanzen die Stadt zurück: kleine, häufig auch etwas amateurhaft eingerichtete Pflanzencenter und Pflanzenboutiquen sind überall in den Städten und auch in den Quartieren verteilt zu finden.
Bild: Kleines Quartier-Pflanzencenter in Seattle
Bild: Restoring Eden, ein kleines Pflanzencenter in der Nähe des Flughafens Tacoma bei Seattle, Permakultur-Versuche
In Chicago wachsen Pflanzen nicht nur in den großen Parks entlang dem Ufer des Lake Michigans, sondern auch in den Schluchten der Wolkenkratzerstraßen.
Bild: Bepflanzung der Straßenschluchten von Chicago. By Night
Bild: Pflanzen unter Wolkenkratzern, Chicago
Bild: Seattel: Bäume vor einer Hochhausfassade
Und es passt auch zum Trend, dass Amazon neben sein Hauptquartier in Seattle 3 gigantische, kugelartige Gewächshäuser (Spheres werden sie genannt) voll von seltenen tropischen und subtropischen Pflanzen gebaut hat.
Bild: Amazon Hauptquartier
Bild: Sphere
Bild: zwei Spheres nebeneinander
Bild: Einblick - wenigstens ein bisschen
Bild: Bepflanzung rund um die Spheres; recht der Kunstrasen, ein ziemlicher Schandfleck
Sie sind weitgehend (außer für Besichtigungstouren) fürs Publikum gesperrt und sollen offensichtlich Amazon-Mitarbeitern eine biophile Atmosphäre ermöglichen, die kreatives Denken erleichtern soll. Als Pflanzenproduzenten warten wir natürlich gerne auf den Moment, wo auch bei jedem Amazon-Logistikzentrum Parks oder eben Spheres eingerichtet werden…
Am eindrücklichsten war für mich eine neue Freiland Mall im Universitätsviertel von Seattle: Dieses Einkaufszentrum definiert sich ganz klar über die Pflanzen und Bepflanzungen, die eine lebensbejahende Atmosphäre schaffen und ein angenehmes und organisches Einkaufen ermöglichen sollen.
Bild: sogar im Applestore gibt es einen Baum, im Freien mit Zugang zum Himmel
Bild: Der 2. Baum im Applestore
Bild: Bepflanzung beim Parkplatz
Bild: Ein kleines Pflanzencenter in der Mall
Bild: Bepflanzung der Einkaufsstraßen
Bild: Einkaufsstraßen
Bild: Sitzbänke in der Mall
Bild: Blick vom Einkaufsparadies in die Bäume und in den Himmel
Bild: Hanging Baskets
Bild: Hanging Baskets mit Gärtner
Bild: Die Pflanzen stehlen den Schaufenstern die Show
Pflanzen fördern Konsum? Auf mich hatten sie jedenfalls genau diese Wirkung, obwohl ich grundsätzlich ein Einkaufsmuffel bin. Wie ich von einem Gärtner vor Ort in Erfahrung bringen könnte, sind in der Mall mit geschätzt 100 Geschäften 4-5 vollamtliche Gärtner tätig. Leider – so mein Gesprächspartner - könnten die Ampeln nicht jede Woche gesäubert werden, sondern nur jede zweite. Auch nicht ganz schlecht…