Um es gleich vorwegzunehmen: Wie wir alle wissen, ist Corona noch nicht ausgestanden. Plötzliche Massenausbrüche hier und da, die Situation in den USA und aber auch die Drohung des Tracing, das plötzlich auch auf meinen Betrieb zurückfallen kann, wenn ein Mitarbeiter sich ansteckt – das alles wird uns wohl noch ins nächste Jahr hinein verfolgen. Dennoch können wir auf aus dem Lockdown und aus der Reaktion der Marktpartner, der Konsumenten und Wiederverkäufer erste Schlussfolgerungen ziehen – hier vor allem über unsere Kategorie, die essbaren Pflanzen.
Lektion 1: Der Durst nach Pflanzen kann nur mit Pflanzen gestillt werden
Die Nachfrage nach Pflanzen, in unserem Falle insbesondere nach essbaren Pflanzen, Obst, Beeren und Gemüse explodiert im Frühling, sie ist in jedem Jahr irgendwann im März für eine kurze Zeit sogar tendenziell systematisch grösser als das Angebot. Der Lockdown hat gezeigt, dass dieser Hunger fast unstillbar ist, er kann nicht (ewig) aufgeschoben werden. Ich habe in der Schweiz mit geschlossenen Baumärkten und auch Gartencentern erlebt, auf was für unglaubliche Ideen Menschen kommen können, wenn sie unbedingt Pflanzen brauchen. Ein Kunde von uns in der Schweiz, eine Kette, hat schnellentschlossen eine Click und Collect Lösung implementiert, die nachgefragten Volumina waren bei vielen Pflanzen, aber vor allem bei Gemüse-, Obst- und Beerenpflanzen so groß, dass sie logistisch schlichtweg nicht mehr umzusetzen waren. Lektion 1 also: Die Nachfrage mindestens im Frühling kann nicht zum Erlöschen gebracht werden, der Durst verschwindet nicht, wenn es kein Wasser gibt. Auf diesen Hunger und Durst nach Pflanzen können wir uns verlassen
Bild: Die Auslieferungen bei unserer Schwesterfirma Lubera nehmen in diesem Jahr kein Ende
Lektion 2: Biophilie
Eigentlich ist diese Lektion die gleiche wie Lektion 1, nur einfach allgemeiner gefasst. Aber es tut uns und unserer Branche gut, wenn wir uns daran erinnern und dieses Argument auch einmal gegenüber unseren Kunden und vor allem gegenüber der Öffentlichkeit einsetzen: Menschen brauchen Pflanzen! Sie brauchen sie fast so sehr wie Lebensmittel. Eigentlich sind Pflanzen auch Lebensmittel, ganz besonders, wenn es sich um „essbare“ Pflanzen, um „Edibles“, um Obst-, Beeren- und Gemüsepflanzen handelt. Diese Lektion ist ja auch ganz allgemein wahr und sollte immer wieder erinnert werden: Pflanzen sind die Basis unseres Lebens, sie produzieren nicht nur Lebensmittel, sondern die Luft, die wir atmen. Ohne Pflanzen gibt es kein Leben. Draus ergibt es sich ganz selbstverständlich, dass Menschen so etwa wie Biophilie auszeichnet, die Liebe zum Leben, vor allem zum pflanzlichen Leben, zum Wachstum.
Lektion 3: Die Nachfrage ist flexibel – vor allem in den Monaten März bis Mai
Eigentlich haben wir diese Lektion längst schon gelernt, sonst hätten wir wohl alle unserer Branche schon längt den Rücken gekehrt: Die Nachfrage nach Pflanzen ist „flüssig“, flexibel, sie lebt dann auf, wenn Wetter und Umstände passen. Dies gilt insbesondere innerhalb der Frühlingsmonate März bis Mai, wo das pflanzliche Leben erwacht (und eben nicht nur dieses). Wenn der Winter bis in den März geht, dann boomt der April. Und jetzt mit Corona war es so, dass März und April weitgehend ausfielen und doch das meiste im Mai kompensiert werden konnte. Natürlich weiß ich, dass das für einige Frühlingsblüher natürlich nicht stimmen konnte, es passte aber im Großen und Ganzen für holzige Pflanzen, Stauden und Edibles. Wir konnten diese Kompensation sogar in der Schweiz feststellen, wo der Lockdown konsequent auch Gartencenter und Baumärkte betraf.
Die bange Frage: Und wenn der Mai auch ausgefallen wäre?
Diese bange Frage müssen wir uns natürlich stellen: Was wäre passiert, wenn der Lockdown bis Ende Mai gegangen wäre? Hätte der Juni genügend Möglichkeiten für Nachholeffekte geboten. Ich wage das zu bezweifeln. Es scheint doch eine Art Naturgesetzt zu sein, dass die Frühlingsnachfrage in den normalen Jahren irgendwann im Mai zusammenbricht, dieses Jahr etwas später Anfang Juni.
Lektion 4: Carpe Diem – Pflücke den Tag!
Wir müssen noch vermehrt lernen, flexibel zu sein, die Nachfrage dann am Schopf zu packen, wenn sie da ist. Immer noch geht es in vielen Absatzbereichen zu lange, bis im Februar bei einem frühen Frühlingsbeginn die Ware an den Verkaufspunkten ist; und viele Geschäftsmodelle sind nicht oder nur sehr beschränkt in der Lage, auf späte Nachfragepeaks schnell und konsequent zu reagieren. Wir haben in der Pflanzenbrache (und da gehören die „Edibles“ nun mal dazu, einfach nicht die Zeit und die Ruhe, auch nicht die geschäftlichen Reserven, um Nachfragefenster einfach verstreichen zu lassen. Geschwindigkeit, die schnelle Konstruktion von Angeboten, eine flexible Logistik haben sich im COVID-Frühling einmal mehr als Schlüssel zum Erfolg erwiesen. Dass diese Flexibilität Grenzen hat, dass Mitarbeiter vorhanden und auch motiviert sein müssen, ist mir klar. Klar ist aber auch, dass wir alle diese Flexibilität und Reaktionsgeschwindigkeit weiterentwickeln müssen.
Lektion 5: Die Eroberung des Sommers
Wenn wir unsere Firmen und unser Angebot krisenresistenter machen wollen, müssen wir die Verkaufsfenster erweitern. Dies gilt für alle Teilnehmern in der vertikalen Absatzkette: Wir dürfen uns nicht alleine auf den Frühling verlassen. Dabei rede ich jetzt nicht von der Wiederaufnahme der ziemlich langweiligen Herbstpredigt: Die Herbstsaison stammt aus der Zeit wurzelnackter Pflanzen, sie ist im Zeitalter der Container- und Topfpflanzen nur noch schwer zu begründen und sie passt nicht zur Stimmung der Konsumenten, die ihren Herbstgarten nur nochmals genießen und aufräumen möchten. Aber wir müssen uns anstrengen, den Sommer zu erobern! Die Pflanzen wachsen und sind schön! Wir verfügen über neue, frisch gewachsene Inventare, das Sortiment ist breit und kaum ausverkauft, unsere Produktionskosten sind durchs Überwintern noch nicht belastet! Nutzen wir diese Chance auf allen Ebenen: über die Produktion, die immer mehr in Sätzen gedacht werden muss, über spezielle Sommerangebote, die den daheimgebliebenen Gärtner ansprechen, bis zu Maßnahmen, die die Frequenz an den physischen und auch digitalen Verkaufspunkten steigern.
Bild: frisch produzierte Beerenpflanzen gehören auch im Sommer ins Gartencenter
PS: Nicht, dass wir bei Lubera und Lubera Edibles all diese Lektionen schon gelernt hätten und auch umsetzen - weit gefehlt. Dies ist vor allem auch eine Predigt an uns selber. Aber ich vermute, dass sie viele andere in unserer Branche auch verstehen werden, weil das Klumpen-Risiko Frühling uns alle betrifft.