Wie kann man nur, dachte ich. Aber Markus Gnadenlos Kobelt liess nicht locker: Ja genau, 1-2 Tage mit Fotoshooting im heissesten August aller Zeiten (?) auf den aktuellen Züchtungsfeldern in Buchs zu investieren, das war sein neuster Job an mich. Nun fotografiere ich zwar gerne. Doch ich ziehe leicht bedeckten Himmel vor – natürlich nur damit die Fotos möglichst gut werden, sicher nicht wegen mir… Was aber ist mir bei der Fotosafari aufgefallen, bewaffnet mit der Kamera und mit den Augen eines Aussenseiters. Was wächst da auf den geheimen Züchtungsfeldern von Lubera heran?
Zur Auswahl standen die Züchtungsfelder folgender Gemüse: Tomaten, Süsskartoffeln, Paprika und Feuerbohnen. Und Markus, ganz generös, meinte lapidar, es spiele keine Rolle wo ich beginnen würde… aber es sei wichtig das jetzt zu machen, weil sich die Pflanzen wieder etwas erholt hätten vom Hagelschlag im Juli. Als ich dies hörte, war mir klar, dass ich zuerst in die Tomaten gehen würde. Ganz nach dem Motto, das Schwierigste zuerst. Dazu muss man wissen, dass Tomaten im Freiland ja schon per se eine Herausforderung sind, kommt Hagelschlag hinzu, bleibt oft nicht mehr viel übrig. Die Braunfäule hat dann leichtes Spiel.
Freilandtomaten – das nächste grosse Ding von Lubera?
Ich wusste von Markus natürlich, dass sein derzeitiges Hauptzüchtungsziel die Resistenz gegen Braunfäule ist. Die ersten Sorten mit dem knackigen Namen ‘Open Sky Freilandtomaten’ gibt es ja bereits auf Lubera.com.
Ich hatte mich zu Beginn meines Berufslebens lange mit Pflanzenschutz beschäftigt. In mir steckt zwar mehr Entomologe als Phytopathologe, aber der Braunfäule kommt man in diesem Business immer wieder in die Quere... Nur auf diesem Züchtungsfeld – ich bemerkte schnell, dass die Reihen endlos lang sind – war nicht viel los in Sachen Braunfäule. Zwar hagelbedingt viele Nekrosen an Blättern, Stängeln und Tomaten, aber Braunfäule – Fehlanzeige. Dafür viel gesunder Neuzuwachs. Mein Eindruck als Markus mit der Tomatenzüchtung begann, war ganz anders: braune Pflanzenskelette und gesunde Pflanzen wechselten sich munter ab. Wenn das kein Fortschritt ist…
Die nächste Auffälligkeit: Tomaten wie kleine Heckenpflanzen. Buschig, vieltriebig, kompakt, nicht höher als 50 cm – und voller Blüten. Sehr spannend finde ich. Ich kenne ja die Cherry-Zwergtomaten für den Topf, die sind endständig voller Früchte, was gut aussieht, doch sind diese Früchte weg, kommt nichts mehr nach, die Pflanze ist ausgepowert, wächst nicht weiter. Diese Heckentomaten haben aber die Früchte an den Stängelbasen, oben blühts und fruchtets weiter wie bei normalen Tomaten, halt einfach alles massiv verkürzt. Was mir da spontan durch den Kopf geht? Tomatenhecken als kompakter Sichtschutz im Hochbeet oder in Trögen auf Balkon und Terrasse – nein besser: regelrechte «Nasch-Tomaten-Hecken», aber da wird Markus bestimmt noch einen besseren Namen für diese Sortengruppe aus dem Hut zaubern…
Nach gefühlt rund 100 Sorten und Versuchsnummern Tomaten in allen Grössen und Farben bleibt der erste Eindruck definitiv in meinem Gedächtnis haften: entweder war der Braunfäule-Befallsdruck dieses Jahr sehr gering, oder hier im Rheintal wachsen tatsächlich Sorten mit erstklassiger Braunfäule-Toleranz heran. Die Pipeline jedenfalls scheint zu stimmen…
Tropenpflanze «Passiflora» mutiert zur winterharten Staude
Ich gebe es ja zu… entlang der letzten Reihe Tomaten war ich nicht mehr so konzentriert. Das lag aber nicht daran, dass die 101te Tomatensorte nicht auch fotogen gewesen wäre, sondern an der unmittelbaren Nachbarschaft: Passionsblumen – ich liebe Passionsblumen! Gut, von diesen Passifloras sagte Markus nichts, ist ja auch kein Gemüse, aber ich konnte nicht anders… Kürzlich zeigte mir Markus nämlich auf einem Feld winterharte Passiflora incarnata, die jetzt im zweiten Jahr dort wachsen, nein wuchern, blühen und fruchten – und ich war überwältigt. Nun, P. incarnata ist bekannt für ihre Kältetoleranz, von mutiert kann man genau genommen also nicht sprechen, aber es soll doch recht grosse Sortenunterschiede punkto Winterhärte geben. Die vereinzelten Lücken in den Reihen sprechen für sich… Selektionsarbeit, die sich lohnen dürfte! Die Aussicht auf haufenweise Passionsfrüchte, die an mehrjährig ausgepflanzten Passifloras im Garten Jahr für Jahr heranreifen, lässt mein Herz auf jeden Fall höher schlagen…
Die Blüten der neben den Tomaten entdeckten Passiflora-Art waren übrigens viel kleiner und unscheinbarer als die Incarnata-Typen. Das hübsche, stark gelappte Blattwerk war stark behaart, fast plüschig – ein Verdunstungsschutz. Diese Art kommt offensichtlich mit weniger Wasser aus als andere Passifloras. In den etwa Fünffränkler grossen und nicht besonders farbigen Blüten steckte zu meiner Überraschung IMMER mindestens eine Biene! Interessiert begann ich einige Dutzend Blüten grob zu checken – ausnahmslos alle waren mit Bienen besetzt! Manche auch mit zweien oder gar dreien, was dazu führte, dass auf dem Strahlenkranz zuweilen Platznot herrschte… Passiflora arida, so die Art, muss also für Bienen eine spezielle Anziehungskraft haben. Andere Passifloras wie zum Beispiel die rote P. vitifolia mögen Bienen dagegen nicht sonderlich. Sie haben sogar extra Nektardrüsen, die Ameisen anlocken und damit unerwünschte Bienen vertreiben, weil diese Passifloras mehr auf Kolibris als Bestäuber stehen. Ach ja, zum Glück hatte ich die P. arida am Morgen entdeckt. Als ich nachmittags nochmals vorbei ging, war der Spuk mit den Bienen vorbei, alle Blüten bereits wieder geschlossen… Zeit genug, mich nochmals dem Gemüse zuzuwenden!
Paprika à gogo
Ob Paprika, Blockpaprika, Chili oder Snackpaprika – wir meinen im Grunde alle dasselbe: Capsicum. Wie vielfältig dieser Paprika sein kann, wurde mir auf dem Züchtungsfeld wieder einmal eindrücklich aufgezeigt. Verschiedenste Grössen, Formen und Farben und das alles schön artig Pflanze für Pflanze in ziemlich langen Reihen, bei über 30 Grad und unerbittlicher Sonne – man gönnt sich ja sonst nichts…
Paprikas erinnern mich immer wieder an die deutsche Ampel-Regierung: Man weiss nie was man kriegt, egal ob die Schoten gerade grün, gelb oder rot sind. Ein Glück, dass es auch Sorten gibt, die so ziemlich alle Farben am selben Strauch haben – wie Confetti, so muss man sich nicht für etwas entscheiden… Trotz der bunten Illusion, die einem auf dem Feld einzunehmen droht, galt es beim Fotografieren, ganz ruhig zu bleiben und sich stoisch Züchtung für Züchtung vorzunehmen, immer ganz artig mit dem Nummernschild, sonst gäbe das hinterher ein riesen Durcheinander... Bedenkt man, dass neben den äusseren Eigenschaften ja auch noch die Schärfegrade hinzukommen, gewinnt man die Erkenntnis, dass Paprika für Züchter sehr dankbar, aber auch anspruchsvoll sind…
Süsskartoffeln
Normalerweise ist es ja beim Gemüse so, dass man sich die Pflanzen primär aus der Sicht des Gourmets anschaut. Die Liebe geht schliesslich durch den Magen. Wenn eine Pflanze dann zufälligerweise auch noch optisch etwas hergibt, kann sie eventuell noch eine (kleine) Zweitkarriere als Zierpflanze hinlegen. Ich denke da zum Beispiel an Federkohl oder Mangold. Bei der Süsskartoffel allerdings meine ich, dass der Weg für einmal umgekehrt war. Vor gut 20 Jahren kamen hübsche Ziersorten auf den Markt, die als hängender Blattschmuck in Beet- und Balkonpflanzenkombinationen schnell Beliebtheit erlangten. Kein Wunder, an Gundermann und Mottenkönig, die damals als Strukturelement in fast jedes Balkonkistchen mitgepflanzt wurden, hatte man sich satt gesehen. Die Süsskartoffeln gab es zudem in hübschem purpur oder limé, mit finger- oder herzförmigem Blattwerk, buschigem aber doch hängendem Wuchs und vor allem: sie sind perfekt für die volle Sonne, wobei auch Halbschatten prima funktioniert. Dass da neben dem Laub in den Kistchen noch dicke Wurzeln spriessen, realisierte man spätestens im Herbst, wenn den Sommerflor abgeräumt wurde – und fragte sich vielleicht, ob die Dinger überhaupt essbar sind.
Und wie! Aber als hierzulande angebautes Gemüse erlangten die Süsskartoffeln erst in den letzten Jahren mehr und mehr Bedeutung. Eigentlich erstaunlich, denn die Pflanzen sind äusserst wüchsig, gesund und liefern hohe Erträge. Für den Hausgarten wäre da ein Mittelweg ideal: nicht zu wüchsig, dafür schönes Blattwerk und mittlere Knollenbildung. Mit anderen Worten: das perfekte Projekt für Lubera! Dass ich gleich schon Züchtungsnummern antreffen würde, die als Zugabe noch schöne Blüten haben, damit hatte ich definitiv nicht gerechnet… Battschmuck, Blüten, Wurzelfreuden – Triple Pleasure sozusagen…
Feuerbohnen
Bisher standen Feuerbohnen bei mir bisher nicht zuoberst auf der Wunschliste. Vielleicht, weil es mit Thunbergien, Prunkwinden, Passifloras und anderen etliche, blühende einjährige Schlingpflanzen, also genügend Alternativen, gibt. Aber bei der Feuer- oder Prunkbohne geht die Liebe natürlich auch noch durch den Magen…
Dass Feuerbohnen robust und wüchsig sind, sieht man auf dem Züchtungsfeld auf den ersten Blick. Nicht wenige schienen zwar bereits im zweiten Standjahr zu sein, aber auch die Einjährigen boten eine imposante Laubwand, die jedem Spalier, Rankgitter oder jeder Pergola gut stehen würde. So ziemlich alle hochwüchsigen Typen erklommen mühelos 2,5 Meter. Mal etwas dichter mal lichter zwar, aber von Hagelschaden war nicht (mehr?) viel zu sehen. Hinzu kommen die langen Blütentrauben. Von klassisch feuerrot über zweifarbig bis weiss reichte das Spektrum. Obwohl durchaus hübsch, eine grosse Distanzwirkung haben die Blüten nicht. Umso erstaunter war ich, dass eine seltene Holzbiene aufkreuzte und sich ziemlich lange in den Blüten vergnügte.
Überrascht war ich über die Tatsache, dass da gleich einige Züchtungsnummern im zweiten Jahr waren. Bei der Aussaat im Mai gilt es doch bei Bohnen, einen möglichst guten Zeitpunkt zu erwischen. Wird es nach der Keimung nochmals kalt, geraten die Pflanzen ins Stocken, was sich dann auf die ganze Kulturzeit auswirkt. Wenn ich mich richtig besinne war doch der April und Mai in diesem Jahr ziemlich durchzogen, nass und kalt, also definitiv nicht ideal für Bohnen. Dennoch sah ich auf dem ganzen Feld höchstens 2 oder 3 Leerstellen. Es scheint zumindest, dass diejenigen, die im zweiten Jahr sind, trotz des lausigen Frühlings gut aus den Startlöchern gekommen sind. Selektionserfolg oder Zufall?