Lubera® Züchter Raphael Maier erzählt in diesem Kurzinterview von Frederik Vollert über die neusten Entwicklungen, Schwerpunkte und Highlights in der Züchtung, die hauptsächlich in Buchs im Schweizer Rheintal erfolgt.
Raphael Maier, welches sind zurzeit die verrücktesten Züchtungsprojekte bei Lubera®?
Naja ich habe natürlich das Gefühl, dass sie alle etwas verrückt sind. Wahrscheinlich sind die winterharten Passionsfrüchte schon sehr extrem! Wer kommt schon auf die Idee, den Inbegriff von tropischen Früchten im kalten Mitteleuropa ansiedeln zu wollen… Wobei auch die Domestizierung der einheimischen knolligen Platterbse (Lathyrus tuberosus) ziemlich verrückt ist. Wir versuchen, diese früher bereits in kleinem Massstab in Europa angebaute, knollenbildende Leguminose als Alternative zur Kartoffel zu etablieren.
Bilder: Lathyrus tuberosus - die knollige Platterbse - der komplette Strauch und eine Nahaufnahme der Blüte
Das hört sich spannend an. Aber wenn sie doch einheimisch ist, warum wurde die knollige Platterbse nicht schon früher anstelle der südamerikanischen Kartoffel angebaut?
Gute Frage! Wie gesagt, bereits vor 300 Jahren wurde sie in kleinem Umfang in Europa angebaut. Leider hatte sie jedoch keine Chance gegen die Kartoffel. Die knollige Platterbse braucht relativ lange für ihre doch eher kleinen, etwa walnussgrossen Knollen. Die Kartoffel hingegen kann innerhalb von 4–5 Monaten kiloweise Knollen bilden. Aber das liegt auch daran, dass die Kartoffel bereits vor fast 8.000 Jahren angebaut wurde und somit einen Vorsprung besitzt.
Warum also überhaupt eine neue Pflanze domestizieren, wenn wir ja schon die Kartoffel haben?
Obwohl die Kartoffel (im Moment noch) mit dem Ertrag deutlich vorne liegt, so hat Lathyrus tuberosus doch auch Vorteile. Die Pflanze ist einerseits extrem tolerant was Trockenheit und schlechte Böden angeht und sie bindet vor allem Stickstoff, was nur sehr wenige Nutzpflanzen können. Und mit ein wenig Züchtung können wir die Erträge und die Knollengrösse sehr wahrscheinlich noch deutlich verbessern.
Wie ist die Zeitperspektive bei einem Züchtungsprogramm? Bekommt man in einem Jahr eine neue Sorte?
Das wäre toll! In Wirklichkeit braucht Züchtung halt viel Zeit. Vom Beginn eines Züchtungsprogramms bis zur Markteinführung der ersten Sorte vergehen ja nach Art meist 5 – 15 Jahre. Natürlich versuchen wir auch hier die Zeit zu verkürzen. Zum Beispiel hoffentlich bald durch Klimacontainer, in denen wir auch im Winter weiter kreuzen können. Jedoch braucht es immer Zeit.
Wie viele Kompromisse muss man eingehen, wenn man eine neue Sorte auf den Markt bringen will?
Als Züchter träumt man immer von der perfekten Pflanze. Jedes Jahr hofft man gegen bestes Wissen, dass man im genetischen Lotto gewonnen hat und die ideale Sorte auf dem Züchtungsfeld findet. Leider ist das meist nicht der Fall. Zwar verbessern wir unseren Genpool mit jeder Pflanzengeneration deutlich, jedoch kann man eigentlich nie alle Punkte auf der Wunschliste abhaken. Besonders bei der Domestizierung von Wildpflanzen muss man an vielen Stellschrauben drehen und das geht selten gleichzeitig. Zum Beispiel bei Lathyrus tuberosus: Wir streben grosse Knollen, Krankheitsresistenz, glatte Knollenoberfläche, kompakten Wuchs, usw. an. Die Wirklichkeit relativiert die ambitionierten Vorstellungen oft ganz von alleine. Wir haben zwar jedes Jahr tolle neue Sorten, jedoch müssen wir immer wieder Kompromisse eingehen, die wir als realistische Züchter akzeptieren müssen.
Du hast auch von Passionsfrüchten gesprochen. Ist die Winterhärte nicht ein Problem bei den exotischen Passionsblumen?
Ich arbeite vor allem mit der nordamerikanischen Art Passiflora incarnata. Hier ist die absolute Winterhärte kein Problem. Die Pflanze erträgt auch -20 °C ohne mit der Wimper zu zucken. Ein viel grösseres Problem ist, dass sie an ein kontinentales Klima angepasst ist. Sie kann kalte Winter überstehen, braucht aber dann lange, heisse Sommer. Im kühlen Mitteleuropa führt dies dann zu einem späten Neuaustrieb im Frühjahr, einem späten Blühbeginn und am Ende reifen die Früchte nicht mehr aus. Deshalb selektiere ich vor allem auf frühe Pflanzen: früher Austrieb, frühe Blüte und Fruchtreife.
Bild: Passiflora incarnata im zweiten Standjahr
Ein roter Faden, der sich durch deine Projekte zieht, ist das Ungewöhnliche oder besser das Außergewöhnliche. Was war der außergewöhnlichste Vorschlag, den du in die Lubera®-Züchtung einbringen konntest?
Für mich ist das Tolle an der Züchtung, dass man wie ein Künstler etwas Neues, nie dagewesenes erschaffen kann. In meinem Fall neue und leckere essbare Pflanzensorten. Ein sehr außergewöhnliches Projekt, welches ich immer noch extrem spannend finde, sind neue Himbeer-Brombeer-Hybriden! Unser Ziel ist es, Himbeeren mit der Fruchtstruktur (also ohne Loch in der Mitte) einer Brombeere zu schaffen. Zwar gibt es schon solche Rubushybriden wie die Loganberry oder die Tayberry. Jedoch sind diese 50 bis 120 Jahre alt. Heute können wir dank toller, neuer Himbeer- und Brombeersorten derartige Hybriden mit viel mehr Potenzial erzeugen. Gerade diese Woche durften wir die ersten Kreuzungen hierzu vornehmen. Ich bin schon extrem gespannt, was daraus wird!
Stellt euch eine extrem leckere Hybride zwischen Himbeere und Brombeere vor. Stachellose Pflanzen, welche an den diesjährigen neuen Trieben blühen und Früchte tragen und aufrecht wachsen. So eine Beere würde ich mir definitiv in den Garten setzen…
Gab es auch ein dir vorgeschlagenes Züchtungsprojekt, das sogar für Lubera zu außergewöhnlich gewesen ist?
Winterharte Kaktusfrüchte! Das ging dann doch etwas zu weit. Ich finde die Idee immer noch toll, aber kann die Entscheidung schon gut verstehen. Der grosse amerikanische Pflanzenzüchter Luther Burbanks ging mit seiner Kaktusfeigenzüchtung fast bankrott. Und das möchten wir ja bei Lubera eher vermeiden.
Raphael Maier, herzlichen Dank für diesen spannenden Einblick in die Züchtung von Lubera®.