Tomaten sind ein gutes Beispiel, wie Züchtung von Gemüsesorten für den Garten funktioniert. Züchtung ist zwar eigentlich einfach, aber dafür braucht es viel Ausdauer und vor allem Kontinuität, bis man nach 6 bis 10 Jahren endlich eine Sorte auf den Markt bringen kann. In Folgenden zeigen ich kurz auf, was alles zum Freilandtomaten-Züchtungsprogramm gehört, und wie wir konkret die Sorte Happy Black gezüchtet haben.
Sortenprüfung und Auswahl der Elternsorten
Jedes Jahr testen wir einige Dutzend neue Sorten aus aller Welt, die von sich behaupten, besonders robust und widerstandsfähig gegenüber der Kraut- und Braunfäule, also unseren Hauptkrankheiten Phytophthora infestans und Alternaria zu sein. Dabei fallen uns die Salat/Fleischtomate Crimson Crush und Indigo Rose positiv auf.
Crimson Crush stammt aus England, wurde von Simon Crawford gezüchtet und hat eine sogenannte Ph1,2,3 Resistenz. Bei der Testung in Buchs liegt die Feld-Resistenz im Freiland leicht unter unserem gewünschten Niveau, aber ist natürlich deutlich besser als bei bekannten Standart-Sorten. Indigo Rose wurde wie die gesamte Indigo-Sortengruppe von Jim Myers, einem Professor an der Oregon State University gezüchtet. Die Indigo Sortengruppe zeichnet sich durch eine unreif häufig blau gefärbte und reif schwarz-rote Fruchthautfärbung aus. Dafür hat Jim Myers eine in den 60er Jahren auf den Galapagos und in Chile gesammelte Tomatenwildart mit Kultursorten gekreuzt. Von der Wildsorte kommt vor allem auch die blau-schwarze Haut, die wiederum auf einen hohen Gehalt an Anthocyanen zurückzuführen ist. Typisch für schwarze Tomaten ist auch der säuerlich erfrischende Geschmack, verbunden mit einer speziellen Würze (die die Geschmackspezialisten als Umami identifizieren…) Ältere ‚schwarze‘ Sorten wie Black Krim haben einen anderen genetischen Hintergrund, ihre schwärzliche oder gräuliche Haut wird von einem Pigment namens Pheophytin verursacht… Was uns in unserem Versuch mit Indigo Rose aber zusätzlich auffällt: Zwar sind die schwarzen amerikanischen Sorten aus Oregon nicht absolut resistent, aber sie halten doch deutlich länger durch als Standartsorten. Daraus ergibt sich unsere Züchtungsidee: Wir möchten mit einer Kreuzung beider Sorten die Resistenz gegen Alternaria und Phytophthora verstärken, und natürlich gleichzeitig die schwarze-rote Anthocyanfarbe in die ressitenten Freilandtomaten einführen…
Kreuzungen
Ebenfalls Jahr für Jahr machen wir neue Kreuzungen, um für eine volle Pipeline in der Sortenentwicklung zu sorgen. Bei diesen Basiskreuzungen versuchen wir 10 Jahre in die Zukunft zu schauen: Was für Eigenschaften müssen Freilandtomaten in 10 Jahren haben, wenn sie im Garten und auf Balkon und Terrasse erfolgreich angebaut werden sollen… Conditio sine qua non für all unsere Freilandtomaten ist aber die weitgehende Resistenz gegen die frühe (Alternaria) und die späte Krautfäule (Phytophthora infestans).
Bei Kreuzungen wählen wir 2 sehr gute Elternpflanzen mit unterschiedlichen Eigenschaften aus, in diesem Falle eben Indigo Blue und Crimson Crush. Beide haben eine gute, aber nicht ganz genügende Resistenz, hier wollen wir ihre beiden Resistenzen kombinieren und amplifizieren. Und ja, selbstverständlich sind wir an die schwarze Farbe und am hohen Anthocyangehalt der Indigo-Tomaten interessiert. Für die Kreuzung entfernen wir die Pollenträger der Muttersorte Indigo rose[um eine Selbstbefruchtung zu vermeiden] und übertragen mithilfe eines Pinsels Pollen von der männlichen Elternsorte. Es ist auch möglich, einfach eine voll aufgeblühte oder schon fast wieder abgeblühte Blüte zu pflücken und damit direkt den Stempel der Muttersorte zu befruchten. Der Polle keimt dann auf der Narbe des Stempels und befruchtet die weiblichen Organe der Blüte. Die aus der künstlich befruchteten Blüte entstehenden Früchte werden geerntet, die Samen werden extrahiert und getocknet und im folgenden Frühling ausgesät. Daraus entsteht die erste Filialgeneration F1…
F1 Generation
Hoppla, was ist denn da passiert. Obwohl wir zwei sehr unterschiedliche Sorten gezüchtet haben, sehen die daraus gewonnenen Sämlinge fast gleich aus. Allenfalls weist ein leicht dunkler Schleier auf der Tomatenfrucht (nahe am Fruchtstiel) darauf hin, dass hier eine schwarze Sorte beteiligt sein könnte. Was ist passiert? Indem wir zwei samenfeste Sorten gekreuzt haben, haben wir nichts anderes gemacht, als eine F1 Hybride herzustellen, die sehr ähnliche Samen und Tochterpflanzen produziert. Damit wird auch klar, dass die Züchtung neuer samenfester Sorten häufig mit F1 Hybriden beginnt, die man in der ersten Generation unfreiwillig produziert. Trotz der Ähnlichkeit der Tomatensorten in der F1 wählen wir aber auch hier die 2-3 schönsten Pflanzen aus, ernten davon wieder Früchte und trocknen die Samen.
F2 Generation
Jetzt erst wir die Kreuzung wirklich Realität. In dieser zweiten Generation (F2) werden die Hybriden aufgespaltet und jetzt zeigen sich alle Schattierungen zwischen den Elternsorten. Jetzt selektieren wir vor allem die Varianten, die auch möglichst viel schwarz auf den Früchten zeigen, zusätzlich legen wir aber das Hauptaugenmerk auf die Selektion der resistentesten Pflanzen, die die beiden offensichtlich unterschiedlichen Resistenzen der Elternsorten kombinieren und insgesamt das Ziel von 70% grünen Blättern am Ende der Vegetationsperiode erreichen.
Herstellung von Inzuchtlinien
Wir haben also in der zweiten Filialgeneration (F2) die resistentesten und schwärzesten Tomaten selektiert, die darüberhinaus nicht platzen, gut schmecken und möglichst stark wachsen. Von jeder ausgewählten Tomatenpflanzen ernten wir je eine Frucht, deren Samen wir nächstes Jahr wieder aussäen. Aufgrund der Befruchtungsbiologie der Tomate können wir sicher sein, dass die Blüten zu annähernd 100% selbst (also von Pollen der gleichen Pflanze) befruchtet wurden. Das ergibt sich alleine schon daraus, dass bei den meisten Tomatensorten der Stempel gar nicht mehr oder nur sehr spät aus dem ihn überdeckenden Konus der Staubbeutel herauswächst, also gar keine Landefläche für fremden Pollen bietet… Bis der Stempel aus den Staubbeuteln herauswächst und damit für fremde Befruchtungspollen und Bestäubungsinsekten erreichbar wäre, ist er längst schon vom Pollen der eigenen Pflanze befruchtet. Man muss also die Linienpflanzen nicht mehr zusätzlich vor Fremdbestäubung schützen.
Entwicklung der Inzuchtlinien F3 bis F9
Der Vorgang wiederholt sich jetzt jedes Jahr. Man pflanzt aus den entnommenen Samen einer Linie 10- 30 Pflanzen aus, und wählt dann daraus immer wieder die besten 1-3 Einzelpflanzen aus. Um die zu testenden Sorten und Linien nicht eine unendliche Anzahl ausufern zu lassen, werden jedes Jahr natürlich auch Linien aussortiert, die anderen Linien overall oder in einer spezifischen Eigenschaft unterlegen sind. Bei der Züchtung von Happy Black® sind viele Linien am Ende wegen er doch ungenügend Krankheitsresistenz ausgeschieden, andere waren zu wenig fruchtbar; schliesslich haben wir auch Zuchtlinien bevorzugt, deren Früchte bei Regen und Feuchtigkeit platzfester sind.
Die Tomatenfrüchte und -Pflanzen werden durch die Selbstung, durch die Inzucht von Generation zu Generation einheitlicher (siehe Bild), bis am Ende (möglichst) alle Pflanzen die gewünschten Eigenschaften haben und alle gleich aussehen. Die gewünschte Stabilität und Samenfestigkeit ist weitgehend nach 6 Generationen erreicht, man geht aber auch häufig bis zur F8-9, um eine noch grösser Homogenität der Tochterpflanzen zu gewährleisten.
Häufig hat man amEnde eines solchen mehrjährigen Ausleseprozesses dann immer noch parallel mehreren Linien und muss sich dann entscheiden, welche definitiv zu einer samenfesten Sorte wird. Es ist durchaus auch möglich, dass aus einer Kreuzung zwei oder mehrere Sorten entstehen. Genauso könnte es bei der Kreuzung aus Crimson Crush und Indigo Rose herauskommen, aus der bisher Open Sky® Happy Black entstanden ist. Aus der gleichen Kreuzung testen wir immer noch eine Speziallinie, die etwas kompakter wächst und auch für die Erziehung als Strauchtomate geeignet ist. Mal schauen ob sich die Linie je zur Sorte mausern wird...
Selektionskriterien
Ganz generell muss man sagen, dass der Selektionsprozess in der Gemüsezüchtung immer sehr strikt sein muss, weil wir nur durch einen extrem starken Selektionsdruck (das rigorose Wegwerfen aller Pflanzen mit unerwünschten Eigenschaften) die negativen Begleiterscheinungen der Inzucht (Degenerationserscheinungen, schwaches Wachstum, Nachlassen der Gesundheit) ausgleichen und bekämpfen können. Bei der Tomate steht für unsere Open Sky® Freilandzüchtung die Resistenz gegen Alternaria und Phytophthora immer im Zentrum, sie muss in jeder Sorte vorhanden sein. Ein Teil der Resistenz beruht auch auf einemstarken Treibwachstum, so dass wir immer tendenziell die stärker wachsenden Linien (bei den Stabtomaten)bevorzugen. Danach kommen der Geschmack, die Platzfestigkeit der Früchte ,die ja im Freiland kultiviert werden sollen, schliesslich auch Form und Farbe und Grösse. Wir möchten in 10 bis 20 Jahren ein umfassendes Freiland Tomatensortiment mit möglichst verschiedenen Frucht- und Pflanzentypen anbieten.
Maximaler Krankheitsdruck in der Freilandzüchtung
Unsere gesamte Tomatenzüchtung ab der Kreuzung (die in den Gewächshäusern in unserem Lubera® Züchtungszentrum in Buchs ausgeführt wird), findet im Freiland statt. Potenzielle Sortenkandidaten sind also 6 bis 10 Jahre immer dem Freilandstress und den natürlichen Witterungsbedingungen ausgesetzt. Das muss eine neue Sorte oder Sortenlinie erst mal überleben… Open Sky® Happy Black hat diesen Härtetest jedenfalls bestanden.Das allein ist schon ein riesiger Unterschied zur industriellen Tomatenzüchtung, die im Wesentlichen in Gewächshäusern stattfindet und schliesslich auch zu Sorten führt, die für den geschützten Anbau im Gewächshaus bestimmt sind. Dabei ist unser Züchtungsstandort im St. Galler Rheintal besonders gut geeignet, weil wir pro Jahr bis zu 1300mm Niederschlag verzeichnen, wobei ein schöner Teil des Regens auch in den Vegetationsmonaten anfällt. Dadurch sind die Witterungsrahmenbedingungen auch für die wichtigsten Pilzkrankheiten der Tomate, Phytophtora und Alternaria, ideal, das heisst unsere Züchtungspflanzen sind einem maximalen Krankheitsdruck ausgesetzt.
Zahlen zur Tomatenzüchtung
Pro Jahr pflanzen wir allein für die Freilandtomaten-Züchtung:
- 5000 Tomatenpflanzen total
- Ca 150 Inzuchtlinien für die Sortenentwicklung
- Ca 30 fortgeschrittene Inzuchtlinien im kommerziellen Status oder kurz davor
- 15-20 Kreuzungen in je nach Kreuzungsziel angepassten Pflanzenmengen